LeserInnenbriefe
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Regelmäßig ausgegrenzt

betr.: „Jedes siebte Kind ist von Armut bedroht“, taz vom 1. 6. 16

Seit Jahren wird auch von den Regierenden betont, wie wichtig eine gute Ausbildung für Jugendliche sei. Wenn es aber um eine angemessene Versorgung der Jugendlichen aus Hartz-IV-Familien geht, die es ihnen ermöglichen würde, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, werden sie regelmäßig ausgegrenzt. Das sogenannte „Bildungspaket“, durch das Hartz-IV-Kindern eine gewisse Teilhabe suggeriert werden sollte, kann ja nur als Flop bezeichnet werden: 100 Euro pro Jahr (!) können doch wohl nur als Scherz angesehen werden, wenn man die Kursgebühren von Musikeinrichtungen oder Sportstätten sowie die Gebühren für den öffentlichen Nahverkehr kennt.

Und wenn Jugendliche in den Ferien arbeiten, um für einige notwendige Anschaffungen Geld zur Verfügung zu haben, wird das auf das „Familieneinkommen“ angerechnet; selbst Geburtstagsgeschenke von den Großeltern zählen zu den „Einnahmen“.

Wenn Frau Nahles meint, dass sie vorrangig die Eltern „in Arbeit“ bringen will, statt die Bezüge zu erhöhen, übersieht sie, dass Eltern ja teilweise bereits arbeiten und nur aufgrund der niedrigen Löhne Zuschüsse auf Hartz-IV-Basis erhalten. Und Alleinerziehenden ist es meist unmöglich, eine Vollzeitstelle anzunehmen, die ihnen ein angemessenes Entgelt einbringen würde, da sie nicht gerade zu den Favoriten der Personalchefs gehören, während eine Teilzeitstelle wiederum nicht aus der Armutsfalle führen kann.

Wenn schon keine Erhöhung für die monatlichen Beträge vorgesehen ist, sollte zumindest eine Kostenbefreiung für öffentliche Einrichtungen und Verkehrsbetriebe für Hartz-IV-Familien eingerichtet werden. HELGA SCHNEIDER-LUDORFF, Oberursel

Umgekehrte Entwicklung

betr.: „Oxford liegt in Scherben“, „In Crossmaglen ist keiner für den Brexit“, taz vom 31. 5. 16

„Nirgends in Europa traf der Crash so hart wie im Londoner Bankenviertel“ (sic! – wen oder was traf der Crash?) – viele Portugiesen, Iren, Spanier, Griechen … sind bestimmt „not amused“ ob dieser Analyse. Wie viele Londoner Banker/innen haben Job, Haus, Gesundheit, Rentenansprüche verloren? Und dass Jeremy Corbyn nun für den Verbleib von Großbritannien in Europa eintritt, ist keineswegs seiner Überzeugung geschuldet, dass es sich bei der EU plötzlich eher um eine „kulturelle und soziale Gemeinschaft“ als einen neoliberalen Wirtschaftsclub handelt. Aber in der neuen Funktion als Parteichef kann er seine Tony-Blair-geschädigten Schäfchen nicht mit dem Undenkbaren (Brexit from the Left) konfrontieren. Corbyn war aus verständlichen Gründen kontinuierlich gegen die EU in ihrer neoliberalen Form, und das wäre er als einfacher Abgeordneter mit Sicherheit immer noch. Er wäre also genau der gleichen Ansicht wie Tommy McKearney, den Ralf Sotscheck in seinem Artikel eine Seite vorher zitiert und der der EU eine im Vergleich mit Ostwald exakt umgekehrte Entwicklung bescheinigt: „Die Linke muss für ein Ende der EU eintreten“, einer EU, die sich „immer mehr in eine neoliberale Umlaufbahn bewegt“. Ich fürchte (und das ist ganz ehrlich gemeint, denn eine tatsächlich sozial-kulturell integrative, offene, solidarische EU wäre wunderbar!), dass der Ex-IRA-Aktivist in dieser Angelegenheit klarer sieht als Paul Ostwald.

CHRISTIAN SCHMITT-KILB, Ziesendorf

Sexismus wird durchgewinkt

betr.: „Vollverschleierung soll verboten werden“, taz vom 1. 6. 16

In eurem kleinen Artikel zu dem Sachverhalt, dass Terre des Femmes ein Verbot der Vollverschleierung fordert, schreibt ihr den ungeheuren Satz „Damit folgt Terre des Femmes der AFD, die in ihrem Anfang Mai verabschiedeten Grundsatzprogramm ebenfalls solch ein Vollverschleierungsverbot fordert.“ Die Plattheit, in der ihr engagierte Feministinnen in die Nähe einer populistischen Partei mit rechten Zügen stellt, finde ich undifferenziert und unverschämt.

Ich arbeite seit 45 Jahren in der Sozialarbeit und in der Beratung. Was in dieser Zeit in Deutschland an Mädchen und Frauen benachteiligenden/unterdrückenden Maßnahmen gebilligt wurde, an Maßnahmen, die Mädchen nicht dieselben Chancen und Unterrichtsfächer zubilligt wie Jungen, auch im Schulsystem, ist ungeheuerlich. Wird ein männlicher Flüchtling wegen irritierendem Verhalten aus dem Freibad verwiesen, erhebt sich sofort der Vorwurf: Rassismus. Dass bei uns seit Jahrzehnten Mädchen aufwachsen, die nie am Schwimmunterricht, nicht am Sportunterricht und selbstverständlich nicht an Klassenfahrten teilnehmen, löst keine Proteste aus. Es gibt einen Sexismus hier, der im Rahmen von Multikulti durchgewinkt wird! Die vielen Mädchen mit Kopftuch an den Grundschulen genießen nicht die in diesem Land vorhandene Religionsfreiheit, sondern unterliegen Einschränkungen, die in patriarchalen Familienstrukturen für sie entschieden und von uns gebilligt werden.

Wenn wir das Gesetz zur Grundlage unseres Handelns machen, sollte man uns nicht in einen Zusammenhang mit der AFD ­stellen. BRIGITTE SENTKER, Bielefeld

Im Mittelmeer ertrunken

betr.: „Auf der Flucht nach Europa“, taz vom 2. 6. 16

Eine humanitäre Katastrophe! Es zeigt, dass die Flüchtlingskrise längst nicht vorbei ist und noch ein langer Weg zu ihrer Bewältigung vor uns liegt. JULIA ENGELS, Elsdorf