„In Schwarz-Weiß sieht alles gut aus“

WELTKINO Heute beginnt das Festival „Around the World in 14 Films“. Mit dabei ist der katalanische Regisseur Albert Serra und sein jüngster Film „El cant dels ocells“, der die Geschichte der Heiligen Drei Könige zum Gegenstand hat

■ geboren 1975 im katalonischen Banyoles. Studium der Hispanistik, Literaturwissenschaft und Kunstgeschichte in Barcelona.

■ Bisher drei Langfilme: „Crespià“ (2003), „Honor de cavallería“ (2006), eine sehr freie Adaption von Miguel Cervantes’ Roman „Don Quijote“, und „El cant des ocells“ (2008). Alle drei Filme wurden mit Laiendarstellern gedreht.

INTERVIEW CRISTINA NORD

taz: Herr Serra, der erste Satz, der in Ihrem Film gesprochen wird, lautet: „Wenn man aufmerksam hinschaut, entdeckt man viele Dinge und wird von Schönheit überwältigt.“ Das scheint mir so etwas wie ein poetologischer Schlüssel zu „El cant dels ocells“ zu sein.

Albert Serra: Ich mag den Satz wegen seiner Einfachheit und seiner Naivität. Er stellt eine mythische Vergangenheit dar, deren Aussehen wir nur über eine Vermittlungsinstanz kennen – über die Schönheit der Kunst, die diese Vergangenheit abbildet. Vielleicht hat diese Welt existiert, vielleicht ist sie aber nur ein Ideal der Kunst.

Ihr Film „Honor de caballería“ (Ritterehre) bearbeitet Miguel de Cervantes’ Roman „Don Quichotte“, „El cant dels ocells“ (Der Gesang der Vögel) die biblische Geschichte der Heiligen Drei Könige. Warum ziehen diese Texte Sie an?

Weil sie nichts mit unserer gegenwärtigen Welt zu tun haben. Es ist einfacher, über dieses Material visuelle Anmut zu erlangen als über die Wirklichkeit, die uns umgibt. Das ist für mich einfach attraktiver. Trotzdem handelt es sich nicht um eine geträumte Wirklichkeit. Soweit es mir möglich war, habe ich nach dem Gegenwärtigen dieser Vergangenheit gesucht.

Der Film fängt Geschehnisse und Figuren in einem Augenblick ein, in dem sie die Bedeutung, die sie heute haben, noch nicht angenommen haben. Das historisch-mythische Gewicht, das sie heute tragen, lastet noch nicht auf ihnen. Man weiß noch gar nicht, wer Jesus, wer Maria später einmal sein werden, und sie selbst wissen es ja auch noch nicht.

Die Heiligen Drei Könige waren im Begriff, etwas zu verehren, von dem sie noch gar nicht wussten, was es sein würde. Sie waren Pioniere, deshalb erscheinen sie uns ein wenig absurd, vielleicht sogar lächerlich. Die Anmut des Films liegt in diesem Hin und Her, diesem Fluss zwischen Mythos und Wirklichkeit, zwischen Sakralem und Profanem. Diese Mischung zieht mich an. Gäbe es nur eine der beiden Seite, mein Film wäre akademisch.

Wie verwandeln sich die Texte denn in Film? Sie lesen sie, und was passiert dann?

Manchmal lese ich sie nicht mal, sondern bitte jemanden, sie zu lesen und mir von den Einzelheiten zu erzählen, die mir gefallen könnten. Ich lese Texte, die mit den Werken in Verbindung stehen, und schaue mir alle Filme an, die je dazu gemacht wurden, damit ich es besser machen kann. Dann geht es nur noch darum, Einfälle zu haben – fürs Casting, fürs Produktionsdesign, für die mise en scène. All das ist ziemlich improvisiert. Bei den Dialogen habe ich eigentlich nur ein Wort im Kopf, von dem ich denke, dass es die Atmosphäre des Augenblicks trifft. Dieses eine Wort müssen die Schauspieler verwenden, den Rest erfinden sie.

Die Könige sind für uns Ikonen, sie haben nichts Menschliches, das galt es zu respektieren

Das Jesuskind sieht man selten, an seiner Stelle sieht man oft ein Lamm. Warum?

Aus keinem besonderen Grund, obwohl das Lamm natürlich ein Symbol ist. Es lief uns am Drehort über den Weg, und mir gefiel es, wenn die Jungfrau Maria es streichelt oder wenn es ihr auf den Schoß pinkelt. Da ist sie wieder, die Mischung aus Sakralem und dem Profanen.

Die Kamera ist oft weit entfernt von den Figuren, man sieht kaum je ein Gesicht aus der Nähe. Warum?

Um die Ambiguität zu betonen. Die realistische Ebene liegt in dem, was die Figuren machen, in ihren Haltungen und Gesten. Die mythische Ebene liegt in der mise en scène, in den Einstellungen von großer Tiefe. Die sehen wie Gemälde aus. Aus der Ferne vermeidet man außerdem die psychologisch-emotionale Seite der Figuren. In „Honor de caballería“ war die Kamera nah dran an den Protagonisten, weil sie für uns menschliche Archetypen sind. Diesmal ist es anders: Die Könige sind für uns Ikonen, sie haben nichts Menschliches, das galt es zu respektieren.

Warum war es Ihnen wichtig, in Schwarz-Weiß zu drehen?

Weil der Film so eine größere Einheitlichkeit gewinnt. Außerdem hat es der Produktionsdesigner leichter, er muss weniger Geld ausgeben. In Schwarz-Weiß sieht alles gut aus.

An Filmen, die ins Kino kommen, herrscht kein Mangel. Trotzdem gibt es immer wieder sehenswertes Autoren- und Weltkino, das auf Festivals besticht und anschließend von den Verleihern wegen geringer kommerzieller Verwertbarkeit links liegen gelassen wird. Die von Bernhard Karl konzipierte Filmreihe im Babylon-Mitte springt in die Bresche. In diesem Jahr zeigt sie unter anderem „Kinatay“ von Brillante Mendoza, eine ausgesprochen kontrovers diskutierte Gewaltorgie aus den Philippinen, und „Shirin“, die jüngste Filmkonzeptkunst des iranischen Meisterregisseurs Abbas Kiarostami. Das vollständige Programm findet sich unter www.berlinbabylon14.de.

Sie verwenden kein künstliches Licht, zugleich sind die Bilder stark von Hell-Dunkel-Effekten geprägt.

Mir gefallen Extreme. Entweder sehr viel Licht oder Dunkelheit – das verleiht dem Film eine abstrakte Note. Ich habe mit dem Schwarz-Weiß der Landschaften gearbeitet, mit dem weißen Sand und mit dem schwarzen Vulkansand, mit weißen Wüsten und schwarzen Höhlen, mit hellen Wasseroberflächen und mit der dunklen Wassermasse in der Unterwasseraufnahme.

Sie arbeiten mit Laiendarstellern. Einer der Könige wird von einem Tennislehrer gespielt, Joseph von einem Filmkritiker. Warum sind Laiendarsteller wichtig?

Weil es mehr Spaß macht, mit ihnen zu arbeiten. Sie sind origineller als professionelle Schauspieler, und sie können besser die Wahrheit und die Schönheit der Figuren hervorbringen.