Linkspartei

Auf dem Parteitag in Magdeburg dominierte inhaltlich ein Tortenwurf. Ansonsten wurde vor allem Selbstvergewisserung betrieben

Wir gegen alle

Linke Keine Auseinandersetzung mit drängenden Fragen – dafür der Versuch, sich sowohl den Statusals Protestpartei zurückzuerobern als auch regierungsfähig in einem linken Bündnis zu erscheinen

Wir sind Sahra Wagenknecht: Die Linkspartei rückt nach dem Tortenwurf auf ihre Fraktionsvorsitzende zusammen Foto: Peter Endig/dpa

Aus Magdeburg Anna Lehmann

Das muss Gregor Gysi gefuchst haben. Kurz vor dem 5. Parteitag der Linkspartei in Magdeburg an diesem Wochenende hatte sich der Starpolitiker mal wieder aus dem Off gemeldet und seiner Partei Saft- und Kraftlosigkeit unterstellt. Der Ex-Fraktionsvorsitzende drohte den 580 Delegierten die Show zu stehlen.

Doch dann kam jemand auf die Idee, der amtierenden Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht eine Schokotorte ins Gesicht zu klatschen, und Gysis Querschüsse gerieten zur Fußnote auf einem Parteitag, der nach drei für die Linke desaströsen Landtagswahlen Aufbruchstimmung vermitteln sollte.

Es passierte ausgerechnet während der Auftaktrede von Parteichef Bernd Riexinger, als dieser seine Partei dafür loben wollte, dass sie in der Flüchtlingsfrage standhaft geblieben war. Plötzlich gingen die Kameras aus und Flyer flogen. „Was isch n da los?“, fragte Riexinger. Los war: Wagenknecht wischte sich braune Creme aus dem Gesicht, sie wurde aus dem Saal geführt, notdürftig mit Jacken abgeschirmt. Auf den Flyern der Antifaschistischen Initiative „Torten für Menschenfeinde“ hieß es, Wagenknecht teile mit Beatrix von Storch nicht nur Torte im Gesicht. Ihre Aussagen über „Kapazitäts-“ und „Obergrenzen“ seien nur die Spitze des Eisberges.

Wagenknecht sagte später in einem Pulk von Journalisten: „Schlimmer als die Torte ist die Beleidigung, mit Frau von Storch auf eine Ebene gestellt zu werden.“ Auch die Partei scharte sich um Wagenknecht, als diese nach einer Auszeit am frühen Samstagnachmittag wieder eintraf. Standing Ovations für ihre Fraktionsvorsitzende, die noch vor einigen Wochen harsch wegen ihrer „Obergrenzen“-Aussagen kritisiert worden war.

In ihrer Rede zum Ende des Parteitags stellte Wagenknecht dann noch sowohl die beiden Parteivorsitzenden als auch Ko-Fraktionschef Dietmar Bartsch rhetorisch in den Schatten. Mit Applaus goutierten die Delegierten Sätze wie: „Alle Parteien außer der Linken sind AfD-nah.“ Wagenknechts klare Botschaft: Wir, die Linke, gegen alle anderen Parteien. Dabei erlaubte sich Wagenknecht auch kleine Spitzen gegen Ko-Chef Bartsch, etwa wenn sie beklagte: „Wir haben uns zu wenig dagegen gewehrt, als Teil des Merkel-Lagers wahrgenommen zu werden.“ Bartsch hatte im November die Bundeskanzlerin für ihre damalige Flüchtlingspolitik gelobt. „Selbst gewähltes Elend“, seufzte ein Delegierter angesichts des jubelnden Saales.

Wahlen: Die nächsten Landtagswahlen finden am18. September 2016 in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern statt. Der nächste Bundestag wird im Herbst 2017 gewählt.

Prognosen (in Prozent): Berlin (18. 9.): CDU: 19 (23,4), SPD: 23 (28,3), Linke: 16 (11,7), Grüne: 18 (17,6), AfD: 15 (–), FDP: 4 (1,8), (Piraten: 8,9)Mecklenburg-Vorpommern (18. 9.): CDU: 24 (23), SPD: 22 (35,6), Linke: 16 (18,4), Grüne: 8 (8,7), AfD: 18 (–), FDP: 4 (2,8), NPD: 4 (6)

Bundestagswahl: CDU/CSU: 32 (41,5), SPD: 21 (25,7), Linke: 9 (8,6), Grüne: 12 (8,4), AfD: 15 (4,7), FDP: 7 (4,8)Quelle: infratest dimap

Wagenknechts Rede am Ende und der Tortenwurf auf sie am Anfang nahmen den Parteitag in die Klammer. Eine offene und kritische Auseinandersetzung über die Frage, welche Antworten die Linke Wählern gibt, die sich fragen: „Wie soll das gehen, wenn noch mehr Flüchtlinge zu uns kommen?“, wie es im zweiten Leitantrag heißt, fand nicht statt. Genauso wenig wie eine kritische Auseinandersetzung der Linken mit sich selbst.

„Der Angriff auf Sahra ist ein Angriff auf uns alle“, hatte Parteichefin Katja Kipping nach der Tortung spontan geurteilt. Und so geschah es. Die Linke rückte zusammen, was sich auch in soliden Wahlergebnissen für die beiden Parteivorsitzenden Riexinger und Kipping widerspiegelte: Beide wurden mit über 70 Prozent im Amt bestätigt. Sie werden die Linke nun für weitere zwei Jahre führen, auch in den Bundestagswahlkampf 2017. Spätestens dann wird sich zeigen, ob der erhoffte Aufbruch der Partei geglückt ist.

Kipping und Riexinger hatten sich einen Monat zuvor mit einem Aufruf für eine „Revolution für soziale Gerechtigkeit und Demokratie“ für die Wiederwahl empfohlen und darin auch eine Schärfung des alten Profils der Protest- und Kümmererpartei skizziert. Das machte auch Kipping in ihrer Rede deutlich. „Wir müssen bereit sein, uns mit den Superreichen und dem Finanzkapital so richtig anzulegen“, rief sie den Delegierten zu und teilte ansonsten gegen die SPD aus, die in der Kriegs- und Flüchtlingsfrage ein Totalausfall sei. Eine sichere Applausbank, denn die Kritik geht immer.

Andere haben Zweifel, ob sich mit dem Image der Protestpartei wieder Wahlen gewinnen lassen. Einerseits, weil die AfD diesen Nimbus inzwischen erfolgreicher verkörpert. Anderseits, weil man aufpassen müsse, „dass wir nicht allzu platt daherkommen und an den Menschen vorbeidiskutieren“, meint Dominic Heilig, Sprecher des forums demokratischer sozialismus, einer Reformerströmung innerhalb der Linken.

Gysis Querschüsse wurden zur Fußnote auf dem Parteitag, der Aufbruchvermitteln sollte

Ohnehin herrscht am Bratwurststand eher Ratlosigkeit, wie der Spagat zwischen Protest- und Regierungspartei gelingen kann. Trotz aller Attacken gegen Gabriel und Co. und entgegen fehlender Mehrheitsverhältnisse in Umfragen versuchte die Parteiführung nämlich weiter zu vermitteln, dass ein rot-rot-grünes Bündnis an der Linken nicht scheitern werde. Wenn es die Chance gäbe, die Austeritätspolitik sowie Merkels Amtszeit zu beenden und den Aufstieg des Rechtspopulismus zu stoppen, sei man bereit, sagte Kipping. „Aber nur dann!“

Zumindest in den ersten beiden Leitanträgen, die mehrheitlich beschlossen wurden, finden sich viele Anknüpfungspunkte für ein solches Bündnis: Die Linke versucht Antirassismus und soziale Gerechtigkeit miteinander zu verbinden und fordert ein 25-Milliarden-Euro-Sofortprogramm unter anderem für freie Bildung, kostenlosen Nahverkehr, ein Beschäftigungsprogramm und sozialen Wohnungsbau. Als Geldquelle solle etwa eine Vermögensteuer eingeführt werden. Auch die SPD und Teile der Grünen sprechen sich dafür aus, kostenlose Kitas und Hochschulen sind in der SPD ebenfalls kein Tabu, sondern Programm.

Inhaltlich liefert die Linke in allen drei Leitanträgen jedoch wenig Neues. „Wir beschließen, was wir schon immer beschlossen haben“, meint der Berliner Landeschef Klaus Lederer. „Nur mit mehr Vehemenz.“