Mehr Lernzeit für Wilhelmsburg

REAKTION Nach dem Brandbrief der Elbinseln sprechen Schulleiter mit Senator Rabe. Ex-Staatsrat Uli Vieluf fordert längere Schulzeit für Migrantenkinder

Es ist keine leichte Sache, über seine eigenen Schüler zu verbreiten, dass sie wenig können. Doch die 14 Schulleiter der Elbinsel-Schulen sahen sich zu einem Brandbrief genötigt, als sie Anfang Dezember die Ergebnisse der „Kermit“-Lernstandserhebungen für die Klasse 5 und 7 erhielten. Die waren ernüchternd. Rund die Hälfte der Wilhelmsburger und Veddeler Schüler liegen deutlich unter dem Hamburger Durchschnitt.

Die nötige Aufmerksamkeit haben sie nun. SPD-Schulsenator Ties Rabe kam, anders als angekündigt, am Montag doch persönlich zum Krisengespräch in der Behörde hinzu. Das sei „konstruktiv“ gewesen, hieß es hinterher von beiden Seiten. Es seien ab Januar regelmäßige Treffen geplant. „Wir müssen Schule radikal neu denken“, sagt Schulleiter Kay Stöck. Er fordert Freiräume und Ressourcen.

Der parteilose Abgeordnete der CDU-Fraktion, Walter Scheuerl, verlangt jetzt per Anfrage nach Kermit-Daten für andere Stadtteile. Doch die wird die Behörde nicht herausgeben. Studienleiter Jan Poerschke ist nicht wohl bei der Debatte. Sie sei sehr defizitorientiert. Die Kermit-Studie, die demnächst auch in den Jahrgängen 2,3,8 und 9 fortgesetzt wird, sei eine gute Rückmeldung für die Lehrer, damit diese wissen, was ihre Kinder schon können. Sie erhalte aber keine Sozialdaten und dürfe deshalb nicht „übersteigert“ werden. Kermit-Daten für ganze Regionen könnten zudem missverständlich interpretiert werden, da die Lage schon von Schule zu Schule unterschiedlich sein könne.

Eine Einschätzung wagt der Leiter der 2003 gestarteten Kess-Langzeitstudie, Ulrich Vieluf. Auf den Elbinseln und in ähnlichen Vierteln hätten heute „alle Schulen ungünstigere Lernausgangslagen als vor zehn Jahren“, sagt der Ex-Staatsrat der Schulbehörde. Es gebe veränderte Schülerströme, weil die Förderschulen aufgelöst werden und mehr leistungsschwächere Schüler aufs Gymnasium gehen. „Das ist ein untersteuerter Prozess.“

Die verbliebenen drei Stadtteilschulen hätten eine internationale Schülerschaft. Es wäre unfair, diese mit den Normen für deutsche Muttersprachler zu messen. „Diese Schüler brauchen einfach schon in der Grundschule mehr Lernzeit, um Basisfähigkeiten zu erwerben“, sagt Vieluf. Sonst würden sie dauerhaft mit unrealistischen Anforderungen konfrontiert.

Eine Idee für diese Region wäre, die Grundschulzeit um ein oder zwei Jahre zu verlängern. Möglich ist dies an Grundschulen, die Jahrgangsübergreifendes Lernen (JüL) praktizieren, dort können Schüler auch länger als vier Jahre bleiben. Auch an Stadtteilschulen ist JüL möglich.

Wichtig wäre aber auch, wie an einer internationalen Schule, Deutsch als „Verkehrssprache“ zu unterrichten, und nicht bei den Kindern vorauszusetzen. Dafür müssten sich Lehrer intensiv vorbereiten. Vieluf regt an, auch ihnen mehr Zeit zu geben, in dem sie weniger Pflichtstunden unterrichten.  KAIJA KUTTER