Astrid o. Eine sogenannte „Recherchegruppe“ hat die vorgebliche Aktivisten Astrid O. vor zwei Wochen enttarnt. Wir drucken das Protokoll der Nachforschungen in Auszügen
: „Ich muss dich leider versetzen heute“

Louis de Funès, „Le gendarme en balade“ (1970): Im weiteren Verlauf des Films geraten die Polizisten in die Fänge von Hippies, denen sie sich im Look und Feel anzupassen versuchen Foto: Fotos (2): imago/United Archives

Die LKA-Beamtin As­trid O*. war von Ende 2006 bis April 2013 in verschiedenen Zusammenhängen unter dem Decknamen „Astrid Schütt“ in der linken Szene in Hamburg aktiv. Im April 2013 hat sie sich aus den politischen Strukturen zurückgezogen. Sie gab als Vorwand an, mit ihrem Freund für ein halbes Jahr, eventuell aber auch dauerhaft nach Italien gehen zu wollen.

Tatsächlich ist sie aber nach einer längeren Urlaubszeit im Oktober 2013 in den Polizeidienst im Alsterdorfer Polizeipräsidium zurückgekehrt, wo sie unseren Recherchen nach auch derzeit noch tätig ist.

Wie bei der bereits enttarnten Hamburger LKA-Ermittlerin Iris P*. haben auch bei O. unterschiedliche Faktoren dazu geführt, dass sich Menschen nach ihrem Verschwinden noch mal genauer mit der Person „Astrid Schütt“ auseinander gesetzt haben. Unterschiedliche „Verdachtsmomente“ haben auch dazu geführt, dass O. bereits während ihres Einsatzes mit dem Verdacht, eine verdeckte Ermittlerin zu sein, konfrontiert wurde.

Wichtig ist an dieser Stelle schon anzumerken, dass diese Merkmale in Teilen oder auch im Ganzen auf Menschen innerhalb der Szene (und auch außerhalb) zutreffen können. Dies bedeutet jedoch auf keinen Fall, dass diese damit alle potentielle verdeckte Ermittler_innen sind. Das Zusammenspiel von mehreren Faktoren und auch ein „Bauchgefühl“ (damit sind nicht Sympathien oder Antipathien gemeint) können zur Ausgangssituation eines Verdachts werden. (...)

2006 – Beginn in Bergedorf

Nach unserem bisherigen Kenntnisstand ist O./“Schütt“ Ende 2006 über das Café Flop in Bergedorf in der linken Szene aufgetaucht. Bei dem regelmäßig stattfindenden „Antifa Café“ knüpfte sie erste Kontakte und erkundigte sich, wie sie Teil von Strukturen werden kann. Zu dieser Zeit ließ sie sich in einem Afroshop Dreadlocks machen und wurde regelmäßiger Gast des „Antifa Cafés“. Im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung teilte sich die Café Struktur, eine Fraktion verließ das Café Flop und bewegte sich nach Hamburg/Altona. Obwohl sich O. innerhalb dieser Auseinandersetzung unbeteiligt zeigte, ging sie 2008 mit nach Altona und organisierte dort das ab Oktober regelmäßig stattfindende Antifa-Jugend-Café „Mafalda“ in der Klausstraße mit.

Im Frühjahr 2007 ist O. bei Antifa-Mobilisierungen in Hamburg-Harburg aufgetaucht. Im gleichen Jahr hat sie auch an der Anti-ASEM Demo und den Gegenaktivitäten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm teilgenommen.

Bereits zu diesem Zeitpunkt kamen die ersten Verdächtigungen gegen O. auf. Sie stellte damals auffallend viele Fragen und war in ihren Zusammenhängen mit Abstand die Älteste, was insbesondere im Rahmen des „Café Mafalda“ (Jugendcafé) auffällig war. Neben der Unklarheit über ihren Job wurden die Genoss_innen damals aufmerksam, weil O. einen Tonfa bei sich zuhause herumliegen hatte und offensichtlich versiert in Kampfsport war, obwohl sie angab, kein Interesse daran zu haben. Diesen Unklarheiten wurde damals aber leider nicht ausreichend nachgegangen.

2008 versuchte O. intensiv weitere Kontakte aufzubauen. Sie ist mit dem Anliegen „mitmachen zu wollen“ an unterschiedliche Zusammenhänge herangetreten z.B. an die Ultra Szene des FC St. Pauli.

2009 war sie dann in verschiedenen Aktionszusammenhängen aktiv, u.a. bei der Vorbereitung einer Hausbesetzung des „JesusCenter“ während des Schanzenfestes und den bereits erwähnten Gegenaktivitäten zum Klimagipfel in Kopenhagen. O. begann sich regelmäßig und verbindlich auf dem Plenum der Roten Flora und der „Autonomen Vollversammlung Hamburg“ zu engagieren. Sie beteiligte sich sowohl aktiv an inhaltlichen Auseinandersetzungen als auch an praktischen Dingen wie Türschichten auf Wochenendveranstaltungen. Sie wurde über die Jahre Teil der sozialen/freundschaftlichen Kontakte im Projekt und gehörte unter anderem zu den regelmäßigen „Fritz Bauch“-Kneipenrunden nach dem Flora Plenum.

06.10.2010 09:03:08 von Astrid

Hi:) was machst heute abend?zeit für’n getränk im bauch?so 19h?kannst XXX ja auch noch bescheid sagen:) glg

11.02.2010 17:16:37 von Astrid

Hey:) treffe mich zw 18.30 u 19 m XXX im Bauch,falls Du auch Lust hast,würd mich freuen!Mir is zwar immer noch nicht gut,aber heute is Flora Pflicht;)

Die Recherchegruppe

Aus dem Umfeld des autonomen Stadtteilzentrums „Rote Flora“ hat eine Gruppe in den letzten 18 Monaten drei verdeckte Ermittlerinnen enttarnt: Iris P. alias „Iris Schneider“, Maria B. alias „Maria Block“ und Astrid O. alias „Astrid Schütt“. In der Hoffnung, weiteren Spionen in der linken Szene auf die Schliche zu kommen, will sich die Gruppe bei ihrer Arbeit nicht in die Karten schauen lassen.

Ende 2009 – Namensgeberin von „Nella Faccia“ (Ital. ins Gesicht)

Ende 2009 wurde O. zur Mitbegründerin und Namensgeberin der Politgruppe „Nella Faccia“. Diese heute nicht mehr bestehende Gruppe verortete sich in der Antifa-/Antirepressionsarbeit. Hier bot sich der lange gesuchte Türöffner in die Hamburger linke Szene. Entscheidend hierbei war die relative Unerfahrenheit an politischer Organisation der gesamten Gruppenmitglieder. Nella Faccia bestand, mit Ausnahme von O., aus jungen Personen, die im Umgang mit Sicherheit in politischen Strukturen ungeübt waren. In diesem Kontext baute sie auch intensive freundschaftliche Kontakte auf und traf sich regelmäßig mit Genoss_innen „privat“. (...) Grundsätzlich setzte sie in der politischen Arbeit ihren Schwerpunkt auf das Besuchen von Plena und Vernetzungsveranstaltungen, weniger auf Aktionen an sich. Häufig sagte sie Termine wegen Migräne oder einer angeblichen Magenverstimmung ab.

10.02.2010 17:46:20 von Astrid

Hey Schnucki;) ich muss Dich leider versetzen heute:( mir geht’s total scheiße,Kopf-u Bauchweh,darum bleib ich lieber zh!Bis morgen!Meld mich nachmittags nochmal!Schönen Abend trotzdem!lg (...)

In der antirepressionsgruppe hamburg

Die antirepressionsgruppe hatte Astrid bei der Zusammenarbeit für eine Veranstaltungsreihe von Nella Faccia enger kennengelernt. Aber auch schon vorher wurde sie bei vielen Gelegenheiten in der Szene wahrgenommen, wurde oft irgendwo gesehen und war anscheinend engagiert und integriert.

Nach einigen Begegnungen zeigte Astrid sich häufiger unzufrieden mit ihrer Gruppe Nella Faccia und ließ sich nach anfänglichem Zögern überreden, auch bei der antirepressionsgruppe mitzumachen. Letztendlich hat sie ihre andere Gruppe aber nie ganz aufgegeben, sondern schien später wieder mehr dort mitzumachen. Der genaue Zeitpunkt kann nicht mehr bestimmt werden, aber spätestens ab Ende 2010 war sie in der antirepressionsgruppe dabei. Seit dem war die Beamtin Astrid O. aktiver Teil aller Gruppendiskussionen und Aktivitäten. Damals arbeitete die antirep( ...)

Bei Treffen hat O. stets viel mitgeschrieben und sich meist zum Protokoll führen bereit erklärt. Sie begründete das mit einem schlechten Gedächtnis.

Grundsätzlich zeigte Astrid sich sehr gesellig. 2012 wurde sie in ein Fusion-Team aufgenommen. Mit täglich 12-14 Stunden-Schichten ist das eine ordentliche Extra-Arbeit für eine Polizistin. Bemerkenswert waren bei dem Job ihr resoluter Umgang und ihr bestimmtes Auftreten im Zurechtweisen von Leuten.

Als sich die antirepressionsgruppe zunehmend auflöste, traf O. sich privat mit einzelnen weiter, führte teilweise intensive persönliche Gespräche und lernte dabei auch Menschen aus deren persönlichen Umfeld kennen. (...)

Zweiter Verdacht – Das Cover hat gehalten

Zu einer Konfrontation mit dem Spitzelvorwurf kam es, weil einzelne Leute aus dem Umfeld der antirepressionsgruppe skeptisch waren und einen Verdacht hatten. (...) Auf die Konfrontation reagierte O. erst pampig und trotzig und doch zugleich sehr souverän. Sie stritt den Vorwurf ab und zeigte sich überrascht, wie es dazu gekommen sei. Sie bot an, dass Leute ihre Arbeitsstelle besuchen; sie zeigte ihren Personalausweis und wollte auch Kontoauszüge vorlegen.

Bereits in der Zeit vor dieser Konfrontation dünnte sich die antirepressionsgruppe aus verschiedenen anderen Gründen personell mehr und mehr aus. Auch Astrid blieb den Treffen zunehmend fern und schien wieder intensiver bei Nella Faccia unterwegs zu sein (...)

* Im Original nennt das Protokoll die Klarnamen von Astrid O. und der beiden anderen verdeckten Emittlerinnen, die in der Roten Flora aktiv waren