Die Lüneburger Heide ist das Paradebeispiel einer Region: Sie verbindet Hamburg, Bremen und Hannover miteinander und von dort aus können die Städte versorgt werden Foto: Philipp Schulze/dpa

„Bewusstsein für lokale Wirtschaft muss wachsen“

lokal Nächstes Wochenende trifft sich in Hamburg der Bundesverband der Regionalinitativen. Der Vorsitzende Heiner Sindel über die Lüneburger Heide als ideale Region, die Abgrenzung zur Rhetorik der AfD und über die Frage, wieso sogar Coca-Cola vom Trend zur Regionalisierung profitiert

Interview André Zuschlag

taz: Herr Sindel, welches Produkt haben Sie sich zuletzt gekauft, das nicht aus Ihrer Region kam?

Heiner Sindel: Das weiß ich gar nicht so genau. Ich betreibe ein Wirtshaus und alle Nahrungsmittel, die wir dort verwenden, kommen aus der Region. Also ernähre ich mich grundsätzlich regional. Ich schätze aber, dass es vermutlich gewesen war, als ich zuletzt auswärts Essen war.

Wer profitiert denn eigentlich von Regionalität?

Momentan profitieren sogar Großkonzerne wie Coca-Cola oder Lidl davon. Man merkt deutlich, dass Regionalität ein Trend ist und selbst die ganz großen Konzerne bewerben ihre Produkte damit. Das ist aber nicht ganz das, wofür wir als Bundesverband deutscher Regionalinitiativen werben.

Sondern?

Selbst kleinere und mittlere Betriebe befinden sich ja heute in internationaler Konkurrenz, sind aber vor Ort die, die den Menschen gute und sichere Arbeitsplätze anbieten. Deshalb geht es uns darum, dass regionale Wirtschaftskreisläufe gefördert werden sollen.

Wie denn?

Wir wollen, dass das Bewusstsein für die lokale Wirtschaft wächst. Denn wer Produkte von vor Ort einkauft, der tut letztlich auch etwas Gutes für seine eigene Region, für sein direktes Umfeld. Letztlich profitiert also jeder davon.

Ist gerade für den ländlichen Raum nicht das größte Problem, dass dort immer weniger Menschen leben wollen? Vor allem viele junge Leute ziehen in die großen Städte.

Das Problem ist doch, dass es vielerorts auf dem Land zu wenig Perspektiven gibt. Kleinere Unternehmen, zum Beispiel Handwerksbetriebe, könnten aber gerade im ländlichen Raum Arbeitsplätze schaffen. Wenn das gelingt, ist ein Ort lebenswert.

Aber?

Wenn es dort aber nicht mal mehr eine Gaststätte oder einen Supermarkt gibt, ist das natürlich ein Problem und die Menschen ziehen weg. Das bedingt sich also gegenseitig. Eine gute und flächendeckende Nahversorgung ist die Voraussetzung dafür, dass ein Ort attraktiv ist. Gezielt Regionen zu fördern, muss deshalb das Ziel sein.

Ist das nicht die Aufgabe der Politik?

Auf jeden Fall. Ohne die Politik wird es mancherorts schwierig gegen diese Entwicklung, dass die Menschen in die Städte ziehen, anzugehen. Das werden wir beim Treffen der Regionalbewegungen jetzt in Hamburg auch ansprechen.

Was ist eigentlich eine Region? Ein Landkreis, ein Bundesland oder ganz Norddeutschland?

Schauen Sie sich die Lüneburger Heide an. Das ist für mich das Paradebeispiel einer Region. Sie verbindet Hamburg, Hannover und Bremen miteinander. Dort können die Großstädte mit Nahrungsmitteln, durch das Handwerk und von anderen mittelständischen Unternehmen versorgt werden. Das stärkt gleichzeitig den ländlichen Raum, sichere Arbeitsplätze werden geschaffen und es entsteht außerdem eine Verbindung der Dörfer auf dem Land mit ihren drei umliegenden großen Städten.

Großstädte können sich doch schon jetzt nicht selbst versorgen.

Genau. Waren werden für die Versorgung der Städte oft von weit her importiert. Angesichts des Klimawandels haben diese weiten Wege aber keine Zukunft. Es muss schließlich auch nicht immer notwendig sein, Produkte von weit her nach Deutschland zu importieren.

Nein?

Die Nahversorgung ist dagegen doch deutlich ökologischer. Wenn die Städte und die umliegenden Dörfer miteinander kooperieren, schafft man außerdem auch auf dem Land eine lebenswerte Umwelt. Dann könnte sich das Problem der wegziehenden Jugend bald von ganz alleine erledigt haben.

Sie haben die internationale Konkurrenz der kleinen und mittleren Betriebe angesprochen. Sind Regionalbewegungen eigentlich immer globalisierungskritisch?

Die Globalisierung ist ein Fakt. Man braucht gar nicht versuchen, dagegen anzukämpfen. Das machen wir auch nicht.

Aber?

Aber die Frage ist doch, ob solche Entwicklungen gerecht verlaufen. Wenn die regionalen Wirtschaftskreisläufe gestärkt werden, sind sie damit auch robuster gegen Krisen, die anderswo auf der Welt entstehen. Wenn die Menschen regionale Produkte kaufen, ist das aber nicht unbedingt immer gleich auch eine globalisierungskritische Entscheidung.

In den Supermärkten gibt es unzählige Siegel auf den Produkten, die Regionalität versprechen. Können die VerbraucherInnen denen überhaupt vertrauen?

Das ist tatsächlich ein großes Problem. Daran arbeiten wir als Bundesverband auch und wir setzen uns für eine einheitliche Lösung ein, der man vertrauen kann. Die derzeitige Situation jedenfalls ist verständlicherweise für Verbraucher nicht zufriedenstellend.

Wie sollte es denn Ihrer Ansicht nach geregelt werden?

Heiner Sindel

Foto: privat

64, ist seit 2005 Vorsitzender des Bundesverbandes der Regionalbewegung, in dem sich Initiativen aus Deutschland zusammengeschlossen haben. Er betreibt im fränkischen Feuchtwangen ein Restaurant mit Hotel.

Es wäre es eine gute Sache, wenn jede Region ihr eigenes Siegel besäße. Man kann sich darüber dann mit seiner Region identifizieren.

Das klingt so, als ginge es Ihnen auch darum, den Lokalpatriotismus der Menschen zu stärken.

Weit entfernt von aller AfD-Rhetorik und ihrer kruden Heimattümelei kann es einer Region nicht schaden, wenn die Menschen sich mit ihr identifizieren. Aber unsere Regionalbewegungen sind weltoffen. Wer demokratische Grundsätze nicht anerkennt, wird bei uns nicht toleriert.

Aber zurück zu den Produkt-Siegeln. Ein Beispiel noch: Ich stehe im Supermarkt in der Gemüseabteilung. Dort gibt es die Produkte von einem Bauern, den ich persönlich aus dem Nachbarort kenne – das sind die vertrauenswürdigen Beziehungen zwischen Verbrauchern und Wirtschaft, die wir mit dem Regionalitätsgedanken anstreben.

Was soll gut daran sein, wenn ich Fleisch vom Bauern aus dem Nachbardorf kaufe, der Massentierhaltung betreibt?

Ehrlich gesagt, glaube ich nicht, dass diese Art der Tierhaltung mit dem Gedanken der Regionalität zusammenpasst. Für uns als Bundesverband ist der Tierschutz jedenfalls, also der artgerechte Umgang mit den Tieren auf den Höfen und in den Betrieben, elementarer Bestandteil von Regionalität. Es spricht sich doch auch rum, wenn jemand die Tiere nicht gut behandelt, sie aber im Supermarkt nebenan mit dem Gegenteil bewirbt. Wie gesagt, Vertrauenswürdigkeit ist ganz wichtig.

Häufig wurde ein Produkt im Ausland produziert, wurde aber in Deutschland verarbeitet, verpackt und wird deswegen dann als regionales Produkt etikettiert. Zählt das?

Auch da gibt es noch keine zufriedenstellende Lösung. Aber wir arbeiten daran. Man muss aber auch sehen, dass manche Produkte, Kaffee zum Beispiel, nun einmal nicht im Ort nebenan produziert werden können. Das können wir nicht ändern, aber wir können die vielen kleineren und mittleren Betriebe unterstützen, die mit technischem Wissen und Fähigkeiten ihre Produkte vor Ort herstellen. Und wir können die Menschen ermutigen, diese regionalen Produkte zu kaufen.

Soll das Bundestreffen nächste Woche dazu einen Beitrag leisten?

Sicherlich auch. Es geht aber vor allem darum, dass die verschiedenen Regionalbewegungen die Möglichkeiten haben, sich auszutauschen mit Ideen, wie der Regionalitätsgedanke weiter attraktiv gemacht wird. Und dann wird es außerdem um das Problem der Produktsiegel gehen. Wir wollen da ein gutes Konzept erarbeiten, mit dem wir für die Umsetzung werben können.

8. Bundestreffen der Regionalbewegung in Hamburg: 3. und 4. Juni, GLS Bank Filiale Hamburg, Düsternstraße 10 und Katholische Akademie, Herrengraben 4. Anmeldung und Programm: www.regionalbewegung.de