„2017 ist für den BER mehr als eine Jahreszahl – es ist ein Versprechen“

Das bleibt von der Woche Mitten durch Berlin brettern sinnfrei elektrische Rennautos, der Eröffnungstermin unseres Lieblingsflughafens wackelt mal wieder gewaltig, Roma dürfen das für ihre Vorfahren errichtete Denkmal nicht besetzen, und Behindertenvertreter kritisieren die geplante neue Bauordnung

Viel Zirkus und wenig Spiele

ElektroRennen in der City

Es ist schwer, rasen auf der Straße und Nachhaltigkeit zusammenzubringen

Auch eine Woche nach dem Formel-E-Rennen auf der Karl-Marx-Allee sind dessen Spuren gut sichtbar: Überall stehen die schweren Absperrungen herum, weite Bereiche sind wegen der Abbauarbeiten gesperrt. Viel Aufwand für ein einstündiges Rennen am Samstag, das der Senat gegen die beiden betroffenen Bezirke mitten in der Innenstadt durchsetzte.

Werben wollte man damit für die Elektromobilität; zeigen, dass Autos ohne Verbrennungsmotor auch schnell sein können. Ein gut gemeintes Anliegen. Doch in Erinnerung bleibt der Ärger vieler Bewohner über die wochenlangen Absperrungen, über die zwar ausverkaufte, aber abgehobene Veranstaltung. Es ist eben schwer, rasen auf der Straße und Nachhaltigkeit zusammenzubringen.

Vor nur gut einem Jahr wollte diese Stadt Olympische Spiele ausrichten. Mit einer kümmerlichen Kampagne versuchte der Senat, die Bürger zu überzeugen, dass die nötigen Mil­liarden sinnvoll investiert wären. Vergeblich. Die Euphorie blieb aus, Hamburg bekam den Vorzug.

Das Formel-E-Rennen zeigt nun, dass alle Zweifel berechtigt waren. Da kommt ein Rennzirkus in die Stadt, zeigt ein paar Kunststücke – und verschwindet dann wieder. Der Senat hingegen nutzt die Bühne nicht. Wenn man dem vor sich hin dümpelnden Werbefeldzug für Elektroautos hätte Schwung verleihen wollen, wären eigene Akzente jenseits ein paar kümmerlicher Infostände gefragt gewesen. Statt die Berliner in die bloße Zuschauerrolle zu drängen, hätten die sich doch auf der aufwendig aufgebauten Rennstrecke auch ein bisschen austoben können. Aber dass hier die Menschen mitgenommen werden, ist dann offenbar zu viel erwartet. Bert Schulz

Knapp vorbei ist auch daneben

BER-Termin wackelt

Kommt der BER später, schrumpft das Vertrauen in die Politik noch mehr

Wenn es einige Wochen später wird und die BER-Eröffnung erst 2018 kommt, „ist das auch nicht das Problem“. Michael Müller hat das gesagt, als er diesen Donnerstag nicht ausschloss, dass es mit der geplanten Eröffnung des Großflughafens im zweiten Halbjahr 2017 nichts wird.

Auf den ersten Blick könnte man meinen, dass der Regierende Bürgermeister und Aufsichtsratschef der Flughafengesellschaft recht hat; dass es sich also um viel Rauch um nichts handelt: Ob Ende 2017 oder Anfang 2018, das macht das Milliarden-Euro-Minus des Projekts nur noch unwesentlich fetter. Und wer seit Jahren auf die Eröffnung wartet, wird es auch einige Tage länger aushalten.

Auf den zweiten Blick aber liegt Müller mit seiner Wortwahl daneben. Denn den Eröffnungszeitraum – auf einen konkreten Termin wollte man sich nicht festlegen – hatte die Flughafengesellschaft ja nicht auf die Schnelle rausgehauen. Zwei Jahre hatte sie sich für diese Prognose Zeit gelassen, Ende 2014 wurde sie verkündet.

Deshalb ist „2017“ mehr als eine Jahreszahl. Es ist – um nicht zu sagen: war – eine letzte Chance für die Flughafengesellschaft, zu zeigen, dass sie den Bau doch noch in einem selbst gesetzten Rahmen abschließen kann; und für ihre drei staatlichen Eigentümer Berlin, Brandenburg und den Bund eine nochmalige Chance zu zeigen, dass „die Politik“ ein Versprechen auch halten kann.

Wenn nun im kommenden Jahr daraus nichts wird, dann ist diese Chance vertan, das Versprechen gebrochen. Es gilt die Fußballerweisheit, dass knapp vorbei auch daneben ist. Das ist fatal, weil es neben all den Politikverdrossenen doch noch den einen oder anderen gibt, der Politikern vertraut hat – und das künftig in geringerem Maße tun wird. Diese Entwicklung ist besonders gefährlich in einer Zeit, in der Rechtspopulisten extrem vom erschütterten Vertrauen in den Staat und seine Vertreter profitieren. Stefan Alberti

So werden neue Hürden aufgebaut

KAMPF um Barrierefreiheit

Die Diskriminierung ist ungleich höher als bei einer Frau auf dem Männerklo

Kommenden Mittwoch soll die neue Bauordnung den Bauausschuss des Parlaments passieren und dann noch vor der Sommerpause beschlossen werden. In Sachen Barrierefreiheit sei der Entwurf ein Rückschritt um 20 Jahre, warnten Behindertenvertreter am Dienstag. Tatsächlich sieht der Entwurf der Bauordnung vor, dass künftig nur ein Teil der neu gebauten Wohnungen und öffentlichen Gebäude barrierefrei sein muss.

Man stelle sich vor, ein Haus würde ohne Notausgang gebaut, weil es nun mal wirklich selten brennt. Oder man ließe die Damentoiletten in einem Bürokomplex weg, weil da ohnehin mehr Männer arbeiten. Und nun stelle man sich vor, es würde auf die Barrierefreiheit in einem Gebäude verzichtet, schließlich sei die Mehrzahl der Bewohner oder Arbeitenden eh nicht auf sie angewiesen.

Zugegeben, der Vergleich hinkt etwas. Denn wenn es bei einer Frau dringlich wird, kann sie auch die Herrentoilette nutzen. Schön ist das nicht, aber rein funktional möglich. Ein Mensch mit Rollstuhl, mit Rollator oder auch nur unsicherem Gang ist schlicht aufgeschmissen, wenn in Gebäuden Aufzüge nicht stufenfrei erreichbar sind, der Platz in Fluren nicht zum Rangieren reicht oder Handläufe an Treppen fehlen. Teile des Gebäudes werden damit nicht nutzbar. Das Maß an Diskriminierung ist ungleich höher als bei der Frau auf dem Männerklo.

Und dennoch: Es ist uns selbstverständlich, dass es in Gebäuden Toiletten für Frauen gibt. Von Notausgängen ganz zu schweigen. Offenbar strittig bleibt aber, ob Menschen mit Behinderung der Zugang zu Arbeitsplätzen und Wohnungen zumindest in Neubauten generell gewährt werden soll. So ist es Teil der gesellschaftlichen Normalität, dass Menschen im Alter ins Heim müssen, anstatt Wohnungen von vornherein barrierefrei zu gestalten.

Sieben Jahre nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ist nicht abzusehen, wann Barrierefreiheit ein so selbstverständlicher Bestandteil von Architektur sein wird wie Brandschutz oder getrennte Toiletten heute. Eine Anpassung des aktuellen Bauordnungsentwurf ist jedenfalls ein unverzichtbarer Schritt in diese Richtung. Und alles andere ein Skandal. Manuela Heim

Zwei Welten treffen aufeinander

Protest DER Roma

Der Protest löst Unbehagen aus: Die Mittel sind zu drastisch, die Blicke zu verzweifelt

Und wieder diese Szene: Da steht ein junger Mann, dessen Haut dunkler ist als die der Umstehenden; er gestikuliert wild. Seine Stimme klingt rau, in seinen Augen stehen Tränen. Er sieht abgekämpft aus, sein T-Shirt ist dreckig, die Augen blutunterlaufen, vielleicht hat er Alkohol getrunken, vielleicht auch nicht.

Um ihn herum JournalistInnen, Polizeibeamte und Menschen, denen man ansieht, dass sie einen wichtigen Job haben. Einige schauen peinlich berührt zu Boden, andere wiegen bedauernd den Kopf, manche schauen leicht spöttisch. Das Muster ihrer Sätze variiert kaum: „Wir haben doch Verständnis für Ihre Situation.“ „Wir sind doch gar nicht zuständig.“ „Das ist hier wirklich nicht der richtige Ort.“

Der Mann ist ein Romaaktivist aus Hamburg. Er steht am Montagmorgen vor dem Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma nahe dem Brandenburger Tor. Doch er darf das Denkmal nicht betreten, weil er am Vorabend mit 60 weiteren Roma versucht hat, es zu besetzen, um gegen die drohende Abschiebung der Gruppe zu protestieren. Er wirkt hier an diesem sonnigen Morgen zwischen den Touristengruppen im Tiergarten fehl am Platz, unangenehm für die Umstehenden.

So erging es auch schon anderen, die mit einem ähnlichen Anliegen in diese Stadt kamen: den Hungerstreikenden vom Brandenburger Tor im Herbst 2013, den Oranienplatz-Besetzern bis Frühling 2014, den ­Menschen, die immer noch in der einstigen Schule in der ­Ohlauer Straße leben.

Diese Menschen lösen Unbehagen aus: Ihre Mittel sind zu drastisch, ihre Blicke zu verzweifelt, ihre Forderungen zu radikal für diejenigen, an die sie sich wenden. Wir, die wir hier in Frieden leben können, sind es nicht gewohnt, dass Menschen aus einem so enormen Leidensdruck heraus handeln, dass existenzielle Verzweiflung so sichtbar wird. Es ist unangenehm, weil es im Widerspruch zu einer Illusion steht, an der wir so gerne festhalten würden: dass wir unser Leben unbehelligt von diesem Leid leben könnten, dass es uns gelingt, das herauszuhalten aus Europa, Deutschland, Berlin.

Fast gelingt das ja auch. Die europäischen Grenzen sind so gut wie dicht, der in dieser Woche vom Senat verabschiedete Berliner Masterplan für Integration sieht vor, die Abschiebungszahlen 2016 noch einmal deutlich zu erhöhen. Und auch am Montag fiel mehrfach dieser Satz: Einen zweiten Oranienplatz wird es nicht geben. Das Kunststück, eine Gruppe Roma aus einem Denkmal für ihre Vorfahren räumen zu lassen, weil sie mit ihrem Protest die Würde des Ortes stören würden, und sich dafür noch nicht einmal rechtfertigen zu müssen, wird da plötzlich ganz einfach. Malene Gürgen