Wudu ist auf einem guten Weg

AUS KAJO-KEJI ILONA EVELEENS

Die Musik dröhnt. In der vollen Diskothek von Wudu stampfen und schwitzen die Tänzer. Ein Besucher – die Bierflasche in der Hand, die Augen vom Alkohol gerötet – lehnt sich gegen die Wand aus Bambus, die wacklige Konstruktion neigt sich gefährlich. Der Disko-Besitzer schiebt den Gast sanft, aber bestimmt nach draußen. „Es ist das erste Mal nach dem Tod unseres Führers, dass ich wieder geöffnet habe“, erklärt er den Überschwang der Tänzer, „die Zeit der Trauer ist vorbei.“

Die Diskothek hier in Wudu, dem Dorf in der südsudanesischen Region Equatoria, hat keine Stromversorgung – die Musikanlage läuft mit Sonnenenergie. Ihr Beat hält die Bewohner der Lehmhütten ringsum bis in die Morgenstunden wach. Aber keiner beschwert sich. Schließlich ist das hier und heute seit Wochen das erste Vergnügen für die Menschen. Lange gingen sie geschockt und flüsternd durch ihr Leben.

Ganz Südsudan war erschüttert, als am 30. Juli John Garang bei einem Hubschrauberunfall ums Leben kam. Der charismatische Rebellenführer war erst drei Wochen zuvor als Vizepräsident von ganz Sudan vereidigt worden. Garang war das Gesicht der SPLA, der Bewegung, die im Süden zwanzig Jahre gegen Sudans Regierung gekämpft hatte.

Mary Duku gehört wie die meisten Einwohner von Wudu zum Volk der Kuku. Sie hat ein kleines Restaurant auf dem Markt, kocht auf dem Holzfeuer im Schatten eines Mangobaumes. Ihre Gäste sitzen auf Holzbänken, sie essen von Plastiktellern. „Ich habe Kunden bei allen Stämmen“, sagt die Köchin stolz. „Die einzigen, die manchmal für Unruhe sorgen, sind die langen Menschen im Flüchtlingslager.“ Sie meint damit Angehörige des Dinka-Volkes, die meist hoch gewachsen sind.

Kiir ist der Mann der Stunde

Auch der ermordete Garang war ein Dinka. Er und seine SPLA waren nie unangefochten. Heute soll die SPLA Südsudan als Autonomiegebiet regieren. Um die Konflikte zwischen den Ethnien zu lösen, führt sie den so genannten Süd-Süd-Dialog. Unter Garang kam es dabei kaum zu Annäherungen; aber von Salva Kiir, Garangs Nachfolger als SPLA-Chef und sudanesischer Vizepräsident, erhoffen sich die Menschen Fortschritte. Kiir ist zwar auch ein Dinka, aber er lebte hier in der Region viele Jahre als SPLA-Kommandant.

„Salva Kiir ist ein Mann des Volkes“, lobt ihn Felix Leju Tito, der Verwalter des Krankenhauses. „Er hat zusammen mit uns das Elend geteilt. Er war ständig an der Front, selten in Nairobi.“ Garang hingegen, das wisse hier jeder, habe viel Zeit in seiner Wohnung in einem Luxusviertel der kenianischen Hauptstadt verbracht.

Obwohl die Menschen Vertrauen in Salva Kiir setzen, misstrauen viele noch dem neuen Frieden. Nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR haben viele Vertriebene ihre Rückkehr in ihre südsudanesischen Heimatorte verschoben. Nelson Kambek etwa ist schon seit einem Jahr hier in Wudu. In einem kleinen Kiosk verkauft der Laborant Medikamente. Viel lieber würde er das im Krankenhaus seiner Heimatstadt Juba tun, der Hauptstadt von Südsudan. „Aber“, erklärt er, „der Weg dorthin ist noch immer vermint. Es scheint mir besser, noch ein wenig zu warten.“ Nelson Kambek zögert, dann sagt er: „Eigentlich ist die unsichere Zukunft der Grund, warum ich noch nicht zurückgehe. Denn wenn es Salva Kiir nicht gelingt, den Frieden mit dem Norden zu bewahren und Ruhe zwischen den Völkern hier im Süden zu stiften, kann ich schnell wieder ins Flüchtlingslager nach Uganda. Die Grenze ist schließlich nicht weit.“

Die Zögerlichkeit der Menschen vor Ort bedeutet auch, dass der Wiederaufbau nach zwanzig Jahren Krieg nur langsam vorankommt. Große Teile Südsudans sind völlig zerstört. Auf die Bevölkerung wartet eine riesige Aufgabe – und dafür braucht sie jede Hilfe.

Die Region Kajo-Keji mit all ihren kleinen Dörfern hat dabei manchen Vorteil. Der Landstrich ist fruchtbar, und er grenzt an Uganda. „Wir könnten für andere als Beispiel dienen“, meint der Direktor der Sekundarschule im Dorf Lomin, wie viele Schulen im Südsudan eingerichtet von der katholischen Comboni-Mission.

Yongule Atanasio Lojojos Schule hat mehr als 1.200 Schülerinnen und Schüler. In den geräumigen Klassenzimmern herrscht Stille, nur ab und zu ist der Schrei eines Ibis-Vogels zu hören. Die Schüler schreiben gerade ihre Prüfung. „Kinderspiel“, meint Andrew Sevit, der als erster die Fragen zu englischer Literatur beantwortet hat. Der 20-Jährige kommt aus einer Nomadenfamilie der Dinka, die mit ihrem Vieh durch die Halbwüste von Bah al-Ghazal zieht. Als die Eltern beschlossen, eines ihrer Kinder zur Schule zu schicken, fiel ihre Wahl auf Andrew. Nach der Grundschule in seiner Heimatprovinz wurde er auf die Oberschule hierher versetzt, inzwischen ist er Chefredakteur der Schülerzeitung. „Viele Menschen in Südsudan haben keine Ahnung, was Aids ist, was unsere Politiker tun oder dass in Darfur Krieg herrscht“, sagt er.

„Wir können das bald allein“

Direktor Lojojo ist stolz auf seine Schüler. „Die Mission hat alles gebaut und eingerichtet, jetzt sind wir auf dem besten Weg, die Schule selbstständig zu führen“, erklärt er. „Jedes Jahr wird das Schulgeld ein wenig erhöht, schon jetzt bezahlen wir davon die Lehrer. In ein paar Jahren kann die Mission uns die Schule ganz überlassen.“

Es sind solche Projekte, die Südsudans Aufbau voranbringen. Fünf Kilometer von der Schule entfernt steht ein großes, gut ausgestattetes Krankenhaus der Schweizer Sektion von Ärzte ohne Grenzen (MSF). Mehr als 200 Menschen arbeiten hier. 1997, mitten im Krieg, begann der Aufbau. Heute sind die Luftschutzkeller verriegelt, die Menschen schauen nicht mehr dauernd angstvoll in den Himmel.

Unter einem Baum vor der Klinik warten die Patienten auf ihre Behandlung. Aus der Kinderabteilung dringt Babygeschrei, sonst herrscht ruhige Betriebsamkeit. Die meisten Krankenschwestern hier haben ihren Beruf im nahen Uganda erlernt. Für die Verwaltung ist es noch immer schwierig, gut ausgebildetes Personal zu finden. „Viele Ärzte arbeiten lieber in anderen Ländern, wo die Gehälter besser und die Lebensumstände einfacher sind“, erklärt Oberschwester Emelda Yangi. „Bei Hebammen und Ärzten sind wir immer noch auf Ausländer angewiesen.“

So wie die Comboni-Mission aus der Schule, würde sich auch Ärzte ohne Grenzen gern aus dem Krankenhaus zurückziehen, um auch anderswo zu helfen. Doch das ist nicht einfach. „Die südsudanesischen Behörden sind noch nicht in der Lage, das Krankenhaus zu führen“, klagt Juan Prieto, MSF-Koordinator in Kajo-Keji. „Wir hoffen, dass eine ausländische Entwicklungsorganisation vorübergehend einsteigt, bis Südsudan soweit ist. Aber nur wenig Organisationen können 200 Gehälter zahlen.“

Die lokalen Behörden in Kajo-Keji haben kein Geld, um den Bezirk zu verwalten. „Wir sind anderen Regionen zwar voraus, weil uns Hilfsorganisationen wie Comboni oder MSF schon lange helfen“, erklärt Verwaltungschef Henry Suleiman. „Aber wenn wir ein Vorbild für andere Regionen bleiben wollen, müssen wir uns weiterentwickeln. Ich versuche ja alles, um Steuern einzutreiben“, klagt er, „aber nur wenige Menschen beziehen tatsächlich ein Gehalt, und selbst von dem wenigen bekommen wir nur zehn Prozent. Viel zu wenig, um zum Beispiel die dringend benötigten Straßen zu bauen, auf denen unsere Bauern ihre Produkte nach Juba oder Yei zum Markt bringen können.“

Sam Sondas Traum vom Haus

Während die Behörden auf ausländische Hilfe warten, unternehmen Geschäftsleute erste Schritte auf eigene Faust. Der Schneider Justine Wani zum Beispiel kam voriges Jahr zurück nach Wudu. Allein, denn seine Familie lebt in einem Flüchtlingslager in Uganda. Wanis Firma ist nicht mehr als eine alte Nähmaschine auf der Veranda vor dem Zementladen. Die meisten seiner Kunden sind Menschen, die für internationale Hilfsorganisationen arbeiten: Sie kriegen ein festes Gehalt. Die anderen Einwohner von Wudu können sich keinen Schneider leisten. Sie sind angewiesen auf abgetragene Klamotten aus Europa oder Amerika.

Auch Sam Sonda träumt – von einem eigenen Supermarkt. In seinem Laden aus Holz und Bambusrohren verkauft er Matratzen, Seife, Stoffe und Streichhölzer. „Wenn man mitschwimmen will auf der Welle der Entwicklung, muss ich investieren“, tönt er. „Deshalb werde ich ein Geschäftshaus aus Stein bauen.“ Das Geld dafür hat er von seinem Vater geliehen, der in Uganda lebt. „Ich dachte eigentlich, dass nun, wo Frieden herrscht, viele Flüchtlinge hierher zurückkehren“, sagt er. „Aber ich habe mich geirrt. Nur wenige kommen nach Hause, die anderen warten ab. Ich brauche aber Kunden. Viele Kunden.“