Nervensäge am Tisch

Stoiber setzt Seehofer als Minister durch. Doch in der Unionsfraktion bekommt nur Merkel Beifall

VON LUKAS WALLRAFF

Bei den SPD-Abgeordneten war das Gelächter groß. Schon den ganzen Tag über hatten sie schadenfroh verfolgt, wie sich die Unions-Parteien bei der Besetzung ihrer Ministerposten in den Haaren lagen. Dann kam CSU-Chef Edmund Stoiber in den Bundestag, stieg aus dem Fahrstuhl aus – und rannte aus Versehen: zum Fraktionssaal der SPD.

Es dauerte ein wenig, bis Stoiber die Orientierung wiederfand. Bis er zusammen mit Merkel vor die Presse trat und beide so taten, als habe es nie ein Problem gegeben. Im öffentlichen Zähnezusammenbeißen haben beide längst Routine. So hieß Merkel CSU-Vize Horst Seehofer im Kabinett willkommen. Der schärfste Kritiker ihrer Gesundheits-Kopfpauschale werde „seine reiche politische Erfahrung jetzt auf einem anderen Feld einbringen“, flötete die Kanzlerin in spe. Seehofer werde als Landwirtschafts- und Verbraucherschutzminister „wertvolle Arbeit leisten“. Im Übrigen sei „immer klar gewesen“, dass die CSU über ihre Posten allein verfügen könne. So klar schien das am Wochenende freilich nicht. Da war aus Merkels Umfeld der Vorschlag verbreitet worden, statt Seehofer könnte CSU-Landesgruppenchef Michael Glos ins Kabinett einrücken – und Verteidigungsminister werden. Stoiber interpretierte dies als Verstoß gegen den Unions-internen Brauch, sich in die personellen Angelegenheiten der Schwesterparteien partout nicht einzumischen. Für ihn war es jedoch vor allem die Gelegenheit, die eigenen CSU-Reihen zu schließen: Gegen die Berufung Seehofers hatte es auch bei bayerischen Bundestagsabgeordneten Widerstand gegeben. Dass ausgerechnet der Dauerkritiker vom Dienst mit einem Ministeramt belohnt werde, stieß vielen sauer auf. Stoiber jedoch setzte sich über den Unmut hinweg und verschaffte Seehofer den Ministerjob: eine Vorsorgemaßnahme gegen mögliche Rebellionsabsichten des unberechenbaren Seehofer – und ein deutliches Signal, dass die CSU weiter für „das Soziale“ kämpfen werde.

Bei der Besetzung der CDU-Posten dagegen setzte Merkel weitgehend das Team durch, das sie von Anfang an wollte. An einigen Schlüsselpositionen sitzen Leute, denen sie vertraut: So wird ihr bisheriger Generalsekretär Volker Kauder neuer Fraktionschef. Thomas de Maizière, der das Kanzleramt leiten soll, schätzt sie seit gemeinsamen DDR-Abwicklungs-Zeiten. Das Familienministerium verteidigte Merkel gegen Begehrlichkeiten Seehofers und übergab es, wie von Anfang an geplant, Ursula von der Leyen. Mit Bildungsministerin Annette Schavan holt Merkel eine enge Vertraute ins Kabinett. Franz Josef Jung (Verteidigung) und der designierte Innenminister Wolfgang Schäuble sind keine Vertrauten, aber Verbündete gegen Antireformer von SPD und CSU.

In der Unionsfraktion wurde Stoiber gefragt, warum er Merkels fehlende Richtlinienkompetenz thematisiert habe. Laut Teilnehmern murmelte er eher umständlich eine Rechtfertigung – kein Beifall. Dann ergriff Merkel das Wort und sagte: „Ein Bundeskanzler, auch wenn er weiblich ist, hat natürlich die Richtlinienkompetenz.“ Dafür gab es Applaus, den Teilnehmer als „donnernd“ beschrieben.