Der Einzige von Gewicht

Wolfgang Schäuble wird Merkels wichtigster Mann im Kabinett. Ausgerechnet der oft von ihr Gedemütigte stützt sie nun

VON BETTINA GAUS

Wer Angela Merkel vor wenigen Monaten prophezeit hätte, sie müsse demnächst all ihre Hoffnungen ausgerechnet auf Wolfgang Schäuble stützen, der wäre ausgelacht worden. Der einstige Kronprinz von Helmut Kohl galt längst als Mann von gestern. Mit sehr viel Glück würde er noch auf einen Repräsentationsposten hoffen dürfen. Vielleicht könnte es zum Bundestagspräsidenten reichen. Gerade so eben.

Eine Bundestagswahl und viele eitle Schaukämpfe später ist alles anders. Auch Wolfgang Schäuble kann den Erfolg von Angela Merkel nicht garantieren – aber er ist die einzige stabile Säule im wackligen Gebäude ihrer Macht. Wenn er scheitert, dann ist ihr Misserfolg wohl nicht abzuwenden. Er ist das einzige politische Schwergewicht in ihrer schmalen Phalanx.

Der offene Machtkampf zwischen Angela Merkel und Edmund Stoiber hat aller Welt vor Augen geführt, wie klein ihr Handlungsspielraum tatsächlich war. Er rechtfertigte noch nachträglich die zunächst absurd erscheinende Argumentationslinie der SPD, die CDU und CSU als zwei getrennte Parteien behandelt sehen wollte. Und verschenkte darüber hinaus das wichtige Finanzministerium, weil er selbst ein – risikoarmes – „Superministerium“ führen wollte.

Angela Merkel durfte zwei nette Ministerien für Schönwetterperioden besetzen: Bildung und Familie. Sie hat sich für Annette Schavan und Ursula von der Leyen entschieden, die bislang nur landespolitische Erfahrungen sammelten. Und die nun für Ressorts zuständig sind, bei denen man kaum etwas falsch, aber auch nicht so viel richtig machen kann. Schon gar nicht, wenn Geld knapp ist.

Wer bald das Verteidigungsministerium leiten soll, konnte die künftige Kanzlerin auch noch bestimmen – innerhalb enger Grenzen. Sie musste einen Vertrauten von Roland Koch ernennen, dem lauernden Rivalen aus Hessen. Auch Franz Josef Jung war übrigens bisher nur in der Landespolitik tätig. Mit wechselndem Erfolg, um es höflich zu formulieren.

In den letzten Tagen war häufig zu lesen, die Zeit der politischen Zauberkünstler und der glamourösen Einzelkämpfer sei vorbei. Das neue Kabinett sei ein Kabinett der seriösen Facharbeiter und Handwerker. Was vielleicht nicht die schlechteste Voraussetzung für erfolgreiche Arbeit sei. – Ja, wenn es denn so wäre. Unbestreitbar ist, dass die künftige Regierungsmannschaft kein Team faszinierender Persönlichkeiten ist. Aber fehlender Glamour allein garantiert noch keine Professionalität. Es gibt auch Stümper, die langweilen.

Wer kann für sich in Anspruch nehmen, den Meisterbrief in der Tasche zu haben? Gewiss Frank-Walter Steinmeier, der designierte Außenminister. Er hat das Kanzleramt unauffällig gemanagt und den Kontakt zur Fraktion gehalten. Er versteht er nicht nur etwas von der Außenpolitik, sondern auch von der Innenpolitik. Das gilt umgekehrt ebenfalls für Wolfgang Schäuble. Gut möglich, dass zwischen den beiden ein unerwartet kurzer Draht gespannt werden wird.

Wer weiß sonst noch, was er zu tun hat? Schon bei der Beurteilung des künftigen Vizekanzlers Franz Müntefering wird die Sache schwierig. Als Partei-und Fraktionschef kann er für sich in Anspruch nehmen, eine schier unlösbar erscheinende Aufgabe gemeistert zu haben: In einer dramatischen Situation flog ihm der Laden nicht um die Ohren. Seine Bilanz als Minister ist nicht vergleichbar eindrucksvoll. Er scheiterte – auch – an administrativen Problemen. Das ist nicht gerade eine Empfehlung für den Posten des Arbeitsministers.

Eine Schlüsselrolle wird Finanzminister Peer Steinbrück zufallen. Was immer man über sein vergangenes Wirken denken mag – die Gegenwart liefert Anlass für düstere Befürchtungen. Wer meint, noch vor Beginn der Koalitionsverhandlungen einen so brisanten Vorschlag wie den der Privatisierung von Autobahnen auf den Markt werfen zu müssen, sät erhebliche Zweifel an seinem politischen Fingerspitzengefühl. Gerade das aber braucht ein Finanzminister. Und genau das hat Wolfgang Schäuble. Er macht es Gegnern schwer, sich auf ihn einzuschießen. Einerseits hat er viel früher als andere ein mögliches schwarz-grünes Bündnis propagiert: Schon 1995 in Bremen, wenig später trat er für höhere Energiesteuern ein. Sein konservatives, in Teilen reaktionäres Gesellschaftsbild bietet andererseits jenen Anhängern der Union eine Heimat, die mit der nüchternen Angela Merkel wenig anzufangen wissen.

Außerdem hat Schäuble es in der Hand, einen Grundsatzstreit genau dann vom Zaun zu brechen, wenn es ihm geboten scheint. Die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inneren interessiert im Augenblick niemanden. Aber sie berührt eine der wenigen Fragen, bei denen es zwischen SPD und Union nicht nur um Pragmatismus geht. Sondern tatsächlich um Prinzipien.

Der ewige zweite Mann verfügt wieder einmal über die stärkste Position aller Akteure. Vielleicht deshalb, weil er zu den wenigen gehört, die tatsächlich die Sache über die eigene Person stellen. Andernfalls hätte er Angela Merkel wohl kaum verzeihen können, wie schäbig sie ihn behandelt hat. Vielleicht aber liegt es auch daran, dass andere Mitspieler so schwach erscheinen.

Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere ist weithin unbekannt. Und die Fraktionsvorsitzenden? Peter Struck hat bereits bewiesen, dass er seine Rolle ausfüllen kann.

Aber gilt das auch für Volker Kauder von der Union? Zumindest während seiner Lehrzeit dürfte es sein Vorgänger Schäuble sein, der die Richtung vorgibt. Zumal er der Einzige ist, der sein Amt keinerlei Proporzdenken und keinen Seilschaften verdankt. Sondern allein seiner Fachkenntnis.