Empathie Vor zwei Wochen erzählten wir von einem geklauten Fahrrad. Viele taz-LeserInnen können da mitreden. Fünf ihrer Geschichten
: Wenn das Fahrradplötzlich weg ist

Wenn das Rad nicht mehr da ist, ist es ein schwacher Trost, dass ein Rad noch da ist Foto: Heinz Krimmer/Voller Ernst

Die Recherche: Wir ließen vor dem taz-Gebäude ein Fahrrad klauen und verfolgten den nichts ahnenden Dieb mithilfe eines GPS-Rücklichts. So bekamen wir das Rad am Ende zurück. Zum Nachlesen: taz.de/fahrradklau

Die Geschichten: 66 LeserInnen schickten uns ihre Fahrradklau-Geschichten über ungeschickte Wiederholungstäter und nächtliche Rückhol-Aktionen. Eine Auswahl drucken wir hier und auf taz.de/klaugeschichten

Der Gewinner: Unter allen Einsendungen haben wir das GPS-Rücklicht verlost: Neuer Besitzer ist Heinrich Miess aus Köln (siehe zweite Geschichte links). Nehmt euch vor seinem Rad in Acht, ihr Fahrraddiebe!

Jähes Ende

Wir hatten eine enge emotionale Bindung, mein Rad und ich. Es war schwarz, solide und schnell, ich hatte es häufig repariert und oft geflickt. Doch nicht mal zwei Jahre hielt unsere Beziehung, bis sie von einem unsozialen Menschen jäh beendet wurde: Ich hatte meinen Drahtesel auf dem Weg zur Arbeit am S-Bahnhof abgestellt, statt meines geliebten Fahrrads begrüßte mich jedoch bei meiner Rückkehr eine gähnende Leere. Wie um mich zu verhöhnen, grinste mir stattdessen nur das aufgeschnittene Schloss vom Boden entgegen.

Trauer und eine geistige Stumpfheit überfielen mich. Unglaube, Hilflosigkeit, blanke Wut. Ich bin ein gezeichnetes Kind, schon das fünfte Fahrrad ist mir auf diese Weise abhanden gekommen. Auch das Verfahren kenne ich schon: Anzeige bei der Polizei, kaum Hoffnung, das Rad wiederzusehen, und sofort die Angst, es könne erneut passieren. Dabei waren meine Räder nie die schönsten und teuersten – ob sich der Dieb über so etwas Gedanken macht, bei seinem schmutzigen Werk?

Und wie geht es nun für mich weiter? Ein Leben ohne Rad? Unvorstellbar. Ein neues muss her, aber was für eins? Lieber gleich eine Klapperkiste, über deren Verlust ich nicht so traurig wäre? Oder doch umsteigen auf Inline-Skates? Die klaut bestimmt keiner. Und wenn doch, haut ihn oder sie wenigstens der Geruch meiner Käsefüße um.

Michael Landes, Frankfurt

Schneespuren

Im Januar 1979, spät nachts, kam ich von einer Party nach Hause und musste feststellen, dass mein Fahrrad geklaut worden war. Doch um Mitternacht hatte es zu schneien begonnen und ich konnte noch deutliche Fußspuren erkennen: Sie führten in Richtung der nächsten Siedlung. Zu müde für eine nächtliche Suche beschloss ich, mir mein Rad morgen früh zurückzuholen.

Am nächsten Tag wachte ich auf, blickte aus dem Fenster – der Schnee war vollständig geschmolzen. Heinrich Miess, Köln

Acht Stunden

Es ist schon einige Jahre her, da schloss ich mein Fahrrad abends vor einem Gebäude ab. Bei meiner Rückkehr war es geklaut. Da dieses Gebäude auch als Jugendtreff diente, hing ich dort einige Tage später ein Plakat auf: „100,- DM Finderlohn“. Keine halbe Stunde später klingelte das Telefon: „Isch habe deine Fahrrad gefunden.“

Nach einigem Hin und Her, der Zusicherung „Keine Polizei“ und dem Abwimmeln von Forderungen wie „100 Mark ist zu wenig, ich habe acht Stunden lang gesucht“ konnte ich mein Rad am gleichen Tag unbeschädigt in Empfang nehmen.

Christoph Lenssen, Aachen

Einbahnstraße

Schwer atmend renne ich ihr hinterher durch eine dunkle, einsame Gasse. Wie mag das wohl aussehen, schießt es mir durch den Kopf: Ein junger Mann läuft spät nachts einer jungen Frau hinterher. Man würde wohl nicht zuallererst an die Aufklärung eines Fahrraddiebstahls denken.

Zwei Monate davor wurde das Rad der Freundin meines Mitbewohners gestohlen. Gerade zwei Wochen alt, rot-schwarz lackiert, ein Prachtexemplar. Ich bin mit einem Freund im Auto unterwegs, da sehe ich jenes Fahrrad plötzlich, darauf ein Mädchen: Das Rad ist viel zu groß für sie, es sieht unbequem aus. Ich kurble das Fenster herunter: „Wo hast du das Rad her?“ „Gekauft, lass mich in Ruhe!“, ruft sie und biegt in eine Einbahnstraße ab. Wir halten an, ich springe hinaus, laufe hinterher. Während der kurzen Verfolgungsjagd schwindet meine letzte Unsicherheit über die Herkunft des Rads, doch ich bekomme sie nicht zu fassen, sie gewinnt an Abstand – aber da ist das Ende der Einbahnstraße und mein Freund wartet wie vorher abgesprochen im Auto. Unbemerkt folgen wir ihr. Und sie fährt doch tatsächlich nach Hause, wo sie das Rad ins Haus trägt.

Ziemlich dämlich von ihr, einfach für uns: Ein Anruf beim Mitbewohner, ein Gespräch mit der Polizei – am nächsten Tag wird das Rad geborgen.

Stefan Scherbaum, Dresden

Gar nicht cool

Mein Fahrrad verschwand aus unserem Hinterhof. Einige Wochen später an der Eisdiele entdeckte ich es wieder: Ein junger Typ, wohl nicht mal volljährig, fuhr damit aufreizend lässig an mir vorbei. Gar nicht cool!

Ich hielt ihn an und forderte mein Fahrrad zurück. Er habe es gekauft, sagte er, für 300 Euro. Gut, dann könnten wir ja zur Polizei gehen. Könnten wir nicht, erwiderte er, denn er sei vorbestraft – aber er habe es weder geklaut noch geklaut gekauft. So diskutierten wir, ich hielt mein Fahrrad fest und zitterte vor Wut über diese Dreistigkeit. Der Typ drohte mir („Ein Anruf und du bist tot“), hielt mir die Faust unter die Nase und beleidigte den Penis meines Freundes. Die Menschentraube, die sich mittlerweile um uns gebildet hatte, war wenig hilfreich: „Nun ruf doch die Polizei“, riefen die Leute – das wollte ich ja, aber ich musste doch mein Fahrrad festhalten! Da riss der Typ sich los und rannte davon, ohne seine Drohungen wahr gemacht zu haben.

Wenn ich an der Eisdiele vorbeigehe, muss ich immer an die Leute denken, die mich verunsicherten, anstatt mir zu helfen. Mein Fahrrad jedenfalls leistete mir einen Sommer lang noch gute Dienste: Dann ließ ich es wieder eine Weile im Hinterhof stehen, in der Hoffnung auf freundlicheres Wetter. Zwei Monate später war es erneut verschwunden. Hanna Keller, Berlin