Tendenz zum Ja

aus Kairo KARIM EL-GAWHARY

Der Irak hat aller Voraussicht nach eine neue Verfassung. Auch wenn die unabhängige Wahlkommission darauf drängt, die endgültigen Ergebnisse des Verfassungsreferendums abzuwarten, zeigt die bisherige Stimmenauszählung, dass sich der Entwurf kaum mehr kippen lässt. Da wenig Zweifel daran bestehen, dass der Entwurf in den schiitischen und kurdischen Gebieten angenommen wird, sind die Stimmen in den vier Provinzen, in denen Sunniten die Mehrheit stellen, entscheidend. Wäre der Entwurf in drei Provinzen von Zweidritteln der Wähler abgelehnt worden, wäre er zu Fall gekommen. Doch das berüchtigte sunnitische Dreieck hat sich offenbar nicht eindeutig gegen die Verfassung ausgesprochen. In der Provinz Dijala mit einer mehrheitlich sunnitischen, aber auch einem hohen schiitischen und kurdischen Bevölkerungsanteil, haben nur 20 Prozent der Wähler gegen die Verfassung gestimmt. In der ebenfalls mehrheitlich sunnitischen Provinz Ninevah mit der Provinzhauptstadt Mossul waren es bisher nur 21 Prozent. Nur in der umkämpften und fast ausschließlich sunnitischen Anbar-Provinz mit den Städten Falludscha und Ramadi scheint der Verfassungsentwurf eine herbe Niederlage erlitten zu haben: 97 Prozent der Wähler stimmten dagegen. Auch die Provinz Salah Eddin, mit der Geburtsstadt Saddam Husseins, Tikrit, soll sich überwiegend gegen den Entwurf ausgesprochen haben. In den mehrheitlich schiitischen und kurdischen Gebieten lag die Zustimmung dagegen bei über 90 Prozent. Die landesweite Wahlbeteiligung wird mit rund 60 Prozent angegeben. Ein amtliches Endergebnis wurde für den 24. Oktober angekündigt.

Entscheidend wird nun sein, wie die sunnitischen Politiker mit der Annahme der Verfassung umgehen werden. Ein Teil von ihnen, die den Muslim-Brüdern nahe stehende Islamische Partei, hatte unmittelbar vor dem Referendum einer Vereinbarung zugestimmt, nach der die Verfassung innerhalb der ersten vier Monate des nächsten Jahres noch einmal modifiziert werden kann. Andere waren bei ihrer Nein-Kampagne geblieben. Schon gibt es Hinweise, dass ein Teil der Sunniten das Wahlergebnis nicht akzeptiert. Der prominente Sunnitenpolitiker Salah Mutlak zeigte sich verärgert über US-Außenministerin Condoleezza Rice, die am Sonntag vorschnell verkündet hatte, dass der Entwurf „wahrscheinlich angenommen ist“. „Ich glaube das war ein Signal an die unabhängige Wahlkommission, dass sie den Entwurf unten allen Umständen durchbringen soll“, kommentierte Mutlak. „Bei einer Verabschiedung der Verfassung werden die Anschläge gegen die Besatzungskräfte zunehmen“, warnte Scheik Abdul Salama al-Kubaisi von der einflussreichen Vereinigung sunnitischer Gelehrter.

Die Arabische Liga in Kairo bereitet unterdessen eine Versöhnungskonferenz für den Irak vor. „Die Verfassung ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber jetzt brauchen wir eine nationale Versöhnung“, erklärte Generalsekretär Amru Musa. Während viele Sunniten eine Vermittlung der Liga begrüßen, betrachtet man sie in kurdischen und schiitischen Kreisen skeptisch als „sunnitischen Club“. Auch radikalen Islamisten dürfte daran gelegen sein, einen Vermittlungsversuch der ihnen verhassten arabischen Regime zu sabotieren.

Unterdessen hat die Iraker wieder ihr blutiger Alltag eingeholt. Laut Angaben des US-Militärs sind gestern bei einem Präzisionsschlag aus der Luft in der westirakischen Stadt Ramadi 70 mutmaßliche Aufständische getötet worden. Sie seinen gerade dabei gewesen, eine Straßenmine zu legen, heißt es in einer Erklärung des Militärs. Augenzeugen gaben dem arabischen Fernsehsender al-Dschasira eine komplett andere Version. Danach soll sich eine Menge rund um einen ausgebrannten US-Militärjeep versammelt haben, der auf eine Mine gefahren sei. Die Menschen hätte das Wrack lediglich nach brauchbaren Ersatzteilen durchsucht, berichteten sie.