heute in hamburg
: „Eine Art Resignation“

POLITIK Philosoph Hirsch erklärt Gründe für und gefährliche Folgen von einer politischen Kunst

Michael Hirsch

Foto: privat

50, ist Philosoph, freier Autor und Politikwissenschaftler. Er lebt und arbeitet als Privatdozent in München.

taz: Herr Hirsch, braucht ein Politiker Sinn für Ästhetik?

Michael Hirsch: Er sollte auf jeden Fall Geschmack haben, um zu wissen, was in der Gesellschaft insgesamt los ist. Und er sollte schon verstehen, welche Rolle Kunst in der Gesellschaft spielt.

Inwiefern ist Kunst ein politisches Mittel?

Naja, ich denke da zum Beispiel an das Theater, das immer eine große politische Rolle gespielt hat. Es ist sicherlich eine politische Institution. Aber wenn man sich die gegenwärtigen Verhältnisse anschaut, erkennt man in den aktuellen Kunst-Projekten generell eine Art von Politisierung. Das ist für mich etwas suspekt.

Was genau irritiert Sie denn daran?

Man sollte die Rolle der Kunst von Politik trennen: Die Kunst ist schließlich ein ästhetisches Ausdrucksmedium. Und es ist die Aufgabe von Politik, für die Gesellschaft verbindliche Entscheidungen zu treffen.

Wie definieren Sie eigentlich Politik?

Politik ist der Bereich, in dem es um den Kampf um Rechte geht. Da soll man entscheiden, ob gesellschaftliche Rechte verändert oder konserviert werden – zum Beispiel in Bezug auf Eigentumsrechte oder soziale Rechte.

Wenn das so ist, wie vermischen sich dann die Rollen von Kunst und Politik?

Meine Hypothese ist, dass es seit mehreren Jahrzehnten auf der Ebene der Politik und der Gesellschaft eine Art Resignation gibt. Man verliert immer mehr die Hoffnung, dass sich auf der Ebene der Rechte und der wirtschaftlichen Macht etwas verändert. Stattdessen wandert Politik mehr in den Ausdrucksbereich der Ästhetik, wo man Protest und Unzufriedenheit aufzeigt. Auf diese Art und Weise zeigt künstlerische Subversion ein Symptom der politischen Krise auf, in dem sich Protest und Widerstand in eine Art von Folklore umwandeln.

Wie lässt sich dieser Effekt verhindern?

Durch das Überwinden der Resignation. Außerdem muss man auch überlegen, was ein fortschrittliches Projekt sein kann. Eine progressive Forderung soll alle möglichen sozialen Gruppen betreffen – auch die, die quasi am Rand der Gesellschaft stehen. Es geht zum Beispiel um den Kampf um Arbeitsplätze, Geschlechtergleichheit oder ökologische Nachhaltigkeit.

Interview: ANNA DOTTI

Philosoph Michael Hirsch liest aus seinem Buch „Logik der Unterscheidung. Zehn Thesen zu Kunst und Politik“: 20 Uhr, Golem, Große Elbstraße 14