Berliner Szenen: In der Eckkneipe
Bodenständig
Verhangene Fenster, weiße Buchstaben auf rotem Schild. Ich bin zu einem Geburtstag in eine Neuköllner Eckkneipe geladen. Pünktlich um 22 Uhr schwinge ich die Tür auf. Und stehe verloren zwischen Spielautomaten und dunklen Holzmöbeln. Keine Geburtstagsmeute da. Schnell setze ich mich an einen Tisch, lege Turnbeutel und Mantel ab. Ja, ich gehöre zu denen, die jetzt die Eckkneipen gentrifizieren. Die Barfrau kommt. Schultheiss vom Fass. Nichts mit bayerischem oder polnischem Bier hier.
Außer mir sitzen zwei Gruppen herum: jüngere Leute mit Bärten oder Dutts. Ältere Männer mit geröteter Haut und Filterkippen. Der Rauch steht in der Luft. Haare waschen war umsonst, meine Zigarette schmeckt mir gerade nicht. Die Barfrau zündet mit meinem Feuerzeug die Kerze auf dem Tisch an. Ich habe das Feuerzeug mit einem pinken Aufkleber verschönert. Auf einmal, in ihrer Hand, ist es mir peinlich.
Ein Mann kommt rein und setzt sich zu den anderen. Die Barfrau stellt mir Salzstangen hin: „Damit dir nicht so langweilig ist.“ Abwechselnd nippe ich am Radler und esse Salzstangen. Die Stammgäste nehmen keine Notiz von mir. Vom Tresen aus beobachtet mich die Barfrau. Vielleicht will sie nur sehen, ob ich noch was bestellen will. Ich versuche, nicht affektiert, sondern bodenständig rüberzukommen. Schließlich gehöre ich zu denjenigen, die ihre Kneipe so wie die anderen dieses Typs so „entspannt“ finden.
Meine Freundin N. kommt, Begrüßung, wir fangen mit Wodka an. Aus den Boxen dudelt Nenas „99 Luftballons“. Die Anti-Erdoğan-Version finde ich mittlerweile besser. Generation „Gescheiterte EU“. Oder so. Der Rest der Geburtstagsgesellschaft trudelt ein. Mehr Wodka. Wir reden übers Studieren, über Vegetarismus und darüber, dass Schultheiss schal schmeckt.
Marion Bergermann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen