Fröhlich sein und singen, sich wohlig warm und liebevoll fühlen, wie schön!
: Ein Pfund Drogen, bitte

Liebling der Massen

von Uli Hannemann

Früher Samstagnachmittag. Rund um das Schlesische Tor streunen verstrahlte Gestalten herum. Sie haben sich von allen Zwängen und Konventionen gelöst, auch Tages- und Jahreszeiten spielen für sie keine Rolle mehr. Sie sind frei.

Ein junges Pärchen taumelt nicht ungrazil über den Bürgersteig vor dem berühmten Foto-Fix-Apparat in der Falckensteinstraße. Falsch, laut und ein wenig heiser singt das Mädchen ein Fantasielied vor sich hin. Eine große Sonnenbrille, dünne Schuhe und trotz eher kalten Wetters keine Jacke. Auch der Junge ist nicht gerade adäquat gekleidet. Sie umarmen sich, sie lachen. Taumeln, Gesang, Taumeln. Die jungen Menschen sind froh.

„Dass die nicht frieren“, sagt Uzi und guckt ein bisschen neidisch.

„Das machen die Drogen“, sage ich. „Eine ganz tolle Sache: Sie frieren nicht, sie haben weder Hunger noch Durst und werden nicht müde. Sie haben großartige Einfälle. Sie haben Sex, wo, wann und mit wem sie wollen. Und sie lieben einander.“

„Ich hab Hunger und muss mich immer total warm anziehen“, sagt sie und stellt scharfsinnig fest: „Wir sollten auch Drogen essen.“

„Das ist eine feine Idee!“ Begeistert klatsche ich in die Hände. „Lass uns gleich mal zur Drogerie gehen.“

In der Drogerie fragen wir nach Drogen.

„Ja, das wird hier oft verlangt.“ Die Verkäuferin nickt wissend und stellt mehrere Schachteln auf den Ladentisch. Sie erklärt uns die Unterschiede: grob oder fein, gehackt, gemahlen oder geraspelt. Dazu natürlich die verschiedenen Verpackungsgrößen: ein halbes Pfund, ein Pfund oder ein Kilo. „Das hängt aber nur vom Verbrauch ab. Also, ob das für eine Großfamilie ist oder nur für ein Paar, das ab und zu ein bisschen Spaß haben will. Die Grundwirkung ist immer gleich: kein Kälteempfinden, sinnloses Singen, blablabla …“

„Ein Pfund dann, oder?“ Ich wende mich an Uzi. „Was meinst du ?“

„Mhm.“

„Also ein Pfund Drogen, bitte“, sage ich. „Grob gemahlen.“

„Bitte sehr. Macht 18,95 Euro.“ Sie nimmt das Geld entgegen, steckt die Schachtel in eine kleine Plastiktüte und gibt noch eine Packung Taschentücher dazu. „Wohl bekomm’s.“

Ich schicke mich schon an zu gehen, da hat Uzi noch eine Frage. „Moment mal“, sagt sie. „Wir haben da nicht so viel Erfahrung: Wie viel darf man denn davon auf einmal essen?“

„Das kommt ganz drauf an“, erklärt die Verkäuferin geduldig, „ob Sie jetzt zum Beispiel alles im Sitzbezügemuster der U7 sehen oder lieber völlig unkontrolliert rumficken wollen. Das ist dann natürlich schon eine Frage der Dosis.“

„Nö“, meint Uzi. „Rumficken eher nicht. Aus dem Alter sind wir langsam wirklich raus.“

„Ja“, bestätige ich lahm. „Igitt. Das sollen von mir aus die Kiddies machen. Die hams ja nötig.“

„Aber das mit dem Muster wäre schön“, schwärmt sie. „Und kein Hunger. Und nicht frieren. Und uns richtig lieb haben und singen.“

„Dann nehmen Sie am besten einmal täglich etwa drei Esslöffel pro Person. Sie können die Drogen natürlich auch einfach so essen, aber in Milch eingeweicht und mit ein bisschen Honig rutscht das Zeug schon besser.“

„Okay, danke für den Tipp“, sagt Uzi. „Ach ja, eins wollte ich noch wissen: Wir haben da mal was von Entzugserscheinungen gehört. Kommen die schnell? Und sind die schlimm?“

„Nicht der Rede wert.“ Die Verkäuferin gähnt. Zu oft wohl kommen Kunden mit dem Unsinn. „Man hat einfach nur großen Appetit auf mehr Drogen.“

„Ach so“, sage ich. „Das macht ja nichts. Dann kommen wir wieder her und holen neue.“

„Ja, klar. Machen Sie das. Aber Achtung: Samstag nur bis 16 Uhr. Tschüss.“

„Tschüss.“

Wir nehmen unseren Einkauf und gehen. Und es wird höchste Zeit, denn hinter uns hat sich bereits eine lange Schlange gebildet. Lauter junge Leute. Aber die kennen sich bestimmt besser aus.