WIE SIND WIR DENN DRAUF?
: Man muss nicht mehr in den Tag tanzen

Es ist noch nicht so lange her, da gab es ein Problem in Berlin. Das hieß: lang genug wach bleiben, bis man ausgehen kann.

Das kleinste Hindernis waren Privatpartys, deren Gastgeber man kannte. Zwischen 23 Uhr und ein Uhr früh ging das schon klar. Schwieriger wurde das Ganze bei Clubs. Vor vier in der Nacht, so die kulturelle Übereinkunft in Berlin, brauchte man gar nicht erst loszugehen. Entweder hielten einen die Türsteher für so uncool, dass sie einen überhaupt nicht reinließen. Oder drinnen war derart wenig los, dass man wieder vor dem Problem mit dem Wachbleiben stand.

Dieses Problem ist Geschichte. Und die Lösung so naheliegend wie überzeugend: Man feiert einfach tagsüber.

Das ist nun keineswegs nur eine nette und ein bisschen biedere Idee, die sowieso nicht durchzusetzen wäre, weil die Nacht in Berlin seit je ihren eigenen Gesetzen folgt. Im Gegenteil. Man muss sich nur umsehen: Vor dem Berghain stehen die Leute am Samstag nachmittags Schlange, als wäre es Samstag in der Nacht. Und im About Blank gibt es Partys, die überhaupt erst Sonntagmittag losgehen. Mit DJs und allem Drum und Dran.

Die Sache lag nahe: Tagsüber ist man am Wochenende ja sowieso meistens wach und will schöne Dinge machen – warum also nicht tanzen? Abgeschaut ist das Konzept von den Festivals im Sommer. Und wenn gerade weder Sonne noch See in Sicht sind, akzeptiert man schon auch tagsüber mal einen eher dunklen Club als Ausweichlocation. Die paar übrig gebliebenen verfeierten Gestalten vom Abend davor sind Kollateralschaden. Das lässt sich aushalten.

Zugegeben, das alles liegt wohl auch am Alter. Erstens werden die Clubbetreiber auch nicht jünger und folgen nur ihren eigenen Bedürfnissen. Und zweitens ist es irgendwann Mitte dreißig doch ganz schön viel verlangt, sich die halbe Nacht um die Ohren zu schlagen, um eine Stunde in der Schlange zu frieren, sich drinnen erst mal zu akklimatisieren und als ArbeitnehmerIn dann noch alle halbe Stunde daran denken zu müssen, dass quasi morgen schon wieder Montag und damit eigentlich ja Arbeitstag und überhaupt das Bett …

Tagsüber zu feiern könnte diese Sorgen neutralisieren: Am Tag nach der Party ausgeschlafen und mit intaktem Biorhythmus aufzuwachen, ist eine verlockende Aussicht. Allerdings sollte man sich eines klar machen, selbst wenn die Party mittags um zwölf begonnen hat: Wenn das Konzept wirklich wirken soll, muss man trotzdem irgendwann nach Hause. PATRICIA HECHT