: Endlich erwachsen werden
Susanne Gaschke glaubt: Die ursprünglichen Ziele der Frauenbewegung haben sich „geradezu unheimlich gründlich durchgesetzt“. Das Ergebnis ist die Kinderlosigkeit vieler Akademikerinnen. Doch statt über den Gebärstreik müsste man ausführlich über den Zeugungsstreik der modernen Männer reden
VON PAUL NOLTE
Dumm gelaufen? Irgendwie haben sich Fehler eingeschlichen in den so viel versprechenden Bauplan einer emanzipierten, freien, solidarischen Gesellschaft, seit wir vor zwanzig Jahren aus dem Schneidersitz der Teestubendebatten in die Realität aufgebrochen sind. Männer und Frauen sind ihre eigenen Wege gegangen, oft viel konventioneller als damals erwartet oder erträumt. Aber auch wieder nicht konventionell genug, sonst würden wir nicht über Geburtenkrise und Schulschließungen, Methusalem-Gesellschaft und entvölkerte Landstriche reden.
Die demografische Entwicklung ist ein Lieblingsthema der öffentlichen Debatten in Deutschland geworden, und die politische Reaktion darauf lautet meist und lagerübergreifend: Familienfreundlicher werden! Materielle Anreize bieten, um die Kosten des Kinderhabens auszugleichen! Infrastrukturen aufbauen, nicht zuletzt in der qualifizierten Betreuung jenseits der Aufbewahrung zwischen acht und zwölf Uhr!
Das ist alles schön und gut, aber es genügt nicht und dringt jedenfalls für Susanne Gaschke nicht zum Kern des Problems vor. Der liegt für die bekannte Zeit-Autorin nämlich in jener Falle des vordergründigen Erfolges, in die die Emanzipation die Frauen in den letzten dreißig, vierzig Jahren gelockt hat. Jetzt sind sie gut qualifiziert; sie haben die Freiheit, von der ihre Großmütter nur träumten und ihre Mütter schon sprachen. Aber sie haben einen unsicheren Job, einen männlichen Partner, der im Zweifelsfall noch unsicherer ist – und keine Kinder.
Anders als das neue demografische Mantra sind die Merkwürdigkeiten des Geschlechterverhältnisses in der postpostmodernen Welt noch nicht zum Gegenstand großer öffentlicher Diskussionen geworden, und schon deshalb schlägt Gaschkes Buch eine verdienstvolle Schneise. Es wirkt zudem der weit verbreiteten Neigung entgegen, gesellschaftliche Probleme nicht im Zusammenhang zu sehen. Bevölkerung hat nun einmal etwas mit dem Geschlechterverhältnis zu tun. Im Grunde ist es sogar ein Problemdreieck, das Susanne Gaschke in ihrem neuen Buch aufspannt. Denn als dritter Pol ist die soziale Ungleichheit, die neue Klassenfrage, stets präsent: als Spannung zwischen der Kinder kriegenden Unterschicht und der kinderabstinenten „Mitte plus“.
Bei allen skeptischen Tönen, bei aller Kritik an den Präferenzen und Lebensstilen der achtzehn- bis vierzigjährigen Frauen ist dabei kein resignatives Buch herausgekommen und schon gar kein antiemanzipatorisches. Im Gegenteil, die Ausgangsthese lautet: Die ursprünglichen Ziele der Frauenbewegung haben sich „geradezu unheimlich gründlich durchgesetzt“. Weder gibt es noch Strukturen, die Frauen ernsthaft an etwas hindern könnten, noch fühlen sich junge Frauen heute subjektiv unterdrückt.
Dass Frauen nicht nur emotional und sozial kompetenter sind, sondern auch kognitiv den Männern vorauseilen, ist ja inzwischen ein Gemeinplatz. Dafür hat nicht die spektakuläre Aktion der Feministinnen gesorgt, sondern eher ein unterschwelliger Osmoseprozess. Mit etwas Geduld werden auch noch die letzten Bastionen, etwa in den Spitzenpositionen der Wissenschaft, fallen.
Der Erfolg hat allerdings einen Preis gehabt: die Kinderlosigkeit. Das gilt zumal bei den Frauen, die eigentlich über die besten Voraussetzungen verfügen, Familie und Karriere unter einen Hut zu bekommen – bei den Akademikerinnen, also den Gebildeten, den gut Verdienenden, die womöglich auch noch emanzipierte Männer haben.
Die Ursachen und die Folgen dieses eigenartigen Spannungsverhältnisses lotet Susanne Gaschke auf gut zweihundert jederzeit spannenden Seiten aus. Sie schreibt mit Verve und Überzeugung, sie wechselt souverän von der Konkretion der Reportage, die auf eigene gründliche Recherchen gestützt ist, zur Abstraktion der wissenschaftlichen Analyse. Sie scheut nicht vor der dezidierten Meinung zurück, mit der die LeserInnen übereinstimmen mögen oder nicht.
Die Vielfalt der thematischen Aspekte, die dabei aufgerollt werden, kann nur knapp angedeutet werden. In der Diagnose geht es um den gescheiterten Aufbruch aus den 80er-Jahren, nicht zuletzt um das Scheitern der „wirklich gleichberechtigten Beziehung“, trotz der Bildungserfolge der Frauen und auch gerade deswegen. Es geht um den Geburtenrückgang und seine Ursachen, denn die demografische Krise, so Gaschkes Diktum, „ist Frauensache“. Es geht um die historischen Belastungen des Pronatalismus in den postfaschistischen Ländern und seine seltsamen Überhänge wie den deutschen „Rabenmutter“-Diskurs.
Dann folgen Kapitel, die man als Analyse von Problembereichen zusammenfassen könnte. Im Vordergrund steht dabei das „unordentliche Milieu“ der Unterschichten, die noch Kinder bekommen, aber sie nicht so erziehen können, wie die AkademikerInnen es gern hätten, die selber keine haben. Ein Problem sind offensichtlich auch die Männer – bekanntlich zu einem größeren Anteil als Frauen kinderlos –, die mit den neuen Erwartungen an Rollenpluralität noch viel schlechter zurechtkommen als die Frauen. Und dann ist da noch der wuchernde Bereich der „Single-Ästhetik“, also die zunehmende kulturelle Dominanz eines kinderlosen, hedonistischen Lebensstils, gepaart mit der von Gaschke verabscheuten Ersatz-Infantilisierung der Erwachsenenwelt.
Das letzte Drittel des Buches schließlich widmet sich den Handlungsoptionen und Perspektiven für die Zukunft. Politische Rezepte im engeren Sinne, als Instrumente einer klassischen oder auch erweiterten „Familienpolitik“, genügen Gaschke dabei nicht, auch wenn Renate Schmidt hier ein großes Denkmal gebaut wird.
Man kann Familie und Kinder nicht primär als eine ökonomische Last thematisieren, für die staatlicherseits Kompensation zu leisten wäre. Mit noch so viel Elterngeld und Ganztagseinrichtungen kommt man an die privaten Entscheidungen von Frauen, von Männern, von Paaren nicht heran. Deshalb müssen Partnerschaften sich einer neuen Ernsthaftigkeit unterwerfen: Weg mit der Sex-and-the-City-Romantik, her mit mehr Rationalität in der Männerwahl, so Gaschkes Ratschlag. Mit wem kann ich mein Leben vernünftig einrichten, wer verlässt mich nicht in der ersten Krise – oder spätestens bei der Nachricht von der unverhofften Schwangerschaft?
Ob das weiterhilft, mag man bezweifeln, zumal die Frauen noch so rational sein können, wenn die Männer es nicht sind, oder einer ganz anderen Rationalität folgen. Susanne Gaschke hat ihr Buch vor allem für ein weibliches Publikum geschrieben; sie appelliert sogar an neue Formen der Frauen-„Solidarität“. Aus männlicher Sicht ist ihre These, der fehlende Nachwuchs sei vor allem ein Frauenthema, aber unbefriedigend. Und wahrscheinlich unterschätzt sie die Dimension des Männerproblems in der gesellschaftlichen Krise Deutschlands sogar. Statt über den Gebärstreik müsste man dann ausführlicher über den Zeugungsstreik, den Windelstreik, die panische Festlegungsangst von Männern sprechen.
Auf jeden Fall ist ein großer „Bewusstseinswandel“ nötig, und der gilt für Männer wie für Frauen: Weg von der ewigen Adoleszenz, weg von Spaßgesellschaft und Egokultur. Das Bild des Erwachsenseins in der Lebensphase zwischen 25 und 40 muss geradezu neu erfunden werden, neu definiert werden als „Verantwortung für ein Kind“ (eventuell dürfen es auch mehrere sein). Und da ist man natürlich bei jenem Dilemma, das sich auch der Rezensent oft genug vorhalten lassen muss: Woher, bitte schön, den Bewusstseinswandel nehmen? Mit welchem Recht an „neue Leitbilder“ appellieren, die andere vielleicht gar nicht als Leitbilder akzeptieren mögen?
Ein wichtiges Argument, das konsensfähig sein sollte, klingt bei Susanne Gaschke immer wieder durch: Auch bei der Debatte über Geschlechterverhältnis und Familie geht es darum, wie man angesichts der Erosion sozialer Commitments einerseits, angesichts neuer äußerer Risikolagen andererseits „überhaupt noch eine Gesellschaft bauen“ kann.
Susanne Gaschke: „Die Emanzipationsfalle. Erfolgreich, einsam, kinderlos“. C. Bertelsmann Verlag, München 2005, 224 Seiten, 16 €