strafplanet erde: koreakriegskind von DIETRICH ZUR NEDDEN
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Vom Koreakrieg weiß ich nicht das Geringste bis auf die folgende Geschichte am Rande, die man sich in unserer Straße erzählte: Als der Krieg ausbrach, war Doktor Schraadt bereit. Er hatte vorgesorgt. Er hatte die wie ein Drahtseil gespannte Atmosphäre am 38. Breitengrad jottweedee jenseits des Horizonts ernst genommen, die Gefahr erkannt und gebannt, soweit es seine Frau und ihn betraf. Er war Experte für Demarkationslinien.

Von niemandem und nichts ließ sich Doktor Schraadt beirren, auch nicht von seiner Frau, die anderes im Sinn hatte, nämlich oft und oft das Titelbild der letzten Neujahrsausgabe der Quick verträumt betrachtete – junge Mutter mit nacktem Säugling; hinter ihr der Gatte, eine Großmutter zur Linken, ein Großvater zur Rechten; das glücklich strahlende Ensemble nimmt warmen Herzens das Kind in den Blick: „Prost den zweiten 50! Du sollst das Jahr 2000 erleben!“

Doktor Schraadt, so munkelte ein Teil der Nachbarschaft, der andere wusste es ganz genau, hatte einen atombombensicheren Bunker in den Keller seines Hauses betonieren lassen. Die Notwendigkeit lag auf der Hand. Seine Frau, hieß es, sei damit ganz und gar nicht einverstanden gewesen, habe die Baumaßnahme konsequent abgelehnt und sei nach dem vergeblichen Protest in den zwar gewaltlosen, dennoch aktiven Widerstand getreten, indem sie die Hälften des Ehebettes demonstrativ auseinander geschoben habe. Doktor Schraath gab der Linie den Namen der hauseigenen Architektin und nannte sie im Stillen Elisabeth-Linie. Apropos Stillen: Frau Schraath sprach nicht über ihren Kinderwunsch, wozu auch. Als Sprachwissenschaftler hatte Doktor Schraadt beruflich mit der Festlegung der Benrather Linie zu tun, der Grenze zwischen dem hochdeutschen „machen“ und dem niederdeutschen „maken“. Sie beginnt in Malmedy, verläuft nördlich von Aachen, überquert den Rhein südlich von Düsseldorf bei Benrath und verläuft südlich von Kassel und Magdeburg nach Frankfurt (Oder). So genau will das aber heute wahrscheinlich niemand mehr wissen. Zumal dann ausführlicher über die Uerdinger Linie zu referieren wäre, die „ich“ und „ik“ unterscheidet. Die war in Doktor Schraaths Fakultät in Arbeit, während die Germersheimer Linie zwischen „appel“ und „apfel“ sich wohlauf im Stadium der Serienreife befand.

Am 25. Juni 1950 sah sich Doktor Schraadt bestätigt, Zufriedenheitswallungen durchströmten ihn, die sich für Bruchteile von Sekunden zu einem mühsam unterdrückten Entzücken steigerten. Was er sich nicht eingestehen wollte. Der dritte Weltkrieg war nun unvermeidlich. Der Russe stand vor der Tür, jeden Augenblick würde er angreifen. Das sahen plötzlich viele seiner Nachbarn genauso. Schließlich waren erst im Mai die letzten Lebensmittelrationierungen aufgehoben worden, nun galt es, für den bevorstehenden Krieg zu rüsten. Eskalierende Hamsterkäufe waren die Folge. Und den Einsatz von Atombomben planten die USA irgendwann dann auch.

Als der Koreakrieg drei Jahre später endete, einigte sich Doktor Schraath mit seiner Frau ebenfalls auf ein Waffenstillstandsabkommen. Wenig später folgte: ein strammer Junge!