american pie
: Schwarze Socken werden weiß

Die Chicago White Sox versuchen die Baseball-Götter zu versöhnen und endlich die Liebe einer Stadt zurückzugewinnen

Die Nachricht ist simpel: In der Nacht zu Montag gewannen die Chicago White Sox ein Baseball-Spiel. Sie siegten mit 6:3 gegen die Los Angeles Angels, gewannen die Best-of-Seven-Serie mit 4:1 Siegen und erreichten die World Series. In den Endspielen, die am kommenden Samstag beginnen werden, treffen sie auf die Houston Astros oder die St. Louis Cardinals, die eben mit einem 5:4-Erfolg die andere Halbfinal-Serie auf 2:3 verkürzten.

Aber hier wird Baseball gespielt, und so transportiert eine Nachricht selten nur bloße Fakten. In ihrer ersten World Series seit 1959 haben die White Sox gegen einen der in dieser Sportart so beliebten Flüche anzutreten: Den der „Black Sox“, 86 Jahre alt und besonders düster.

Aber in Chicago sind nicht nur die White Sox gebeutelt. Seit Michael Jordan keine Meisterschaften mehr holt, sieht es allgemein düster aus: Die Bulls treffen den Basketballkorb nicht mehr und die Chicago Bears sind ebenso weit entfernt von einem Super-Bowl-Sieg wie die Eishockey spielenden Blackhawks vom Gewinn des Stanley Cups. Noch erfolgloser aber sind die Baseball-Teams, von denen die „Windy City“ am Lake Michigan nicht nur eins sondern gleich zwei beherbergt: Die White Sox warten seit 88, die Cubs sogar schon seit 97 Jahren auf den Titel.

Die versammelte Mittelmäßigkeit hat die Fans trotzdem nicht abgehalten, ihre scheiternden Helden in Massen zu unterstützen. Die Soldier Field geheißene Football-Spielstätte der Bears ist fast immer ausverkauft, die Bulls leben noch ganz gut vom Ruhm der Jordan-Jahre und die Blackhawks haben auch nicht mehr Probleme als der Rest der darbenden NHL. Vor allem um die Cubs aber hat sich mittlerweile fast ein Kult des Versagens entwickelt: Ein Besuch im Wrigley Field, den aufgrund ihrer entspannt-fatalistischen, nahezu irischen Atmosphäre so genannten „Friendly Confines“, wird erst rund mit einer möglichst unglücklichen Niederlage.

Die Einzigen, die sich nicht heimelig eingerichtet haben in der allgemeinen Zufriedenheit mit dem Mittelmaß, sind die Chicago White Sox. „Wir wissen, dass Chicago eine Cubs-Stadt ist“, hat deren First Baseman Paul Konerko feststellen müssen, „es gibt halt nur ein gewisses Maß an Leidensfähigkeit, und das ist ungerecht auf die beiden Teams verteilt.“ So ging der Zuschauerzuspruch beständig zurück, wurden die White Sox zu den ungeliebten Schmuddelkindern des Sports in Chicago. Verantwortlich dafür ist, wie üblich im mythenverliebten Baseball, natürlich die Historie: Noch immer schwebt wie ein Damoklesschwert der Black-Sox-Skandal über dem Klub: 1919 verloren die hochfavorisierten White Sox die World Series gegen die Cincinnati Reds. Kurz darauf stellte sich heraus, dass einige der erbärmlich bezahlten Profis Geld von professionellen Spielern angenommen und absichtlich verloren hatten. Acht Spieler wurden auf Lebzeiten gesperrt, darunter der legendäre Joe „Shoeless“ Jackson, für den Kevin Costner ein „Field of Dreams“ errichtete.

Seit den Black Sox will sich Chicago nicht mehr so recht für weiße Socken erwärmen. Als man 1959 zum letzten Mal in einer World Series stand, wurde Outfielder Al Smith von den eigenen Fans während des Spiels mit Bier übergossen. Auch die aktuell durch die Stadt schwappende Begeisterung für die Überraschungsmannschaft, die von den Experten vor Saisonbeginn im Tabellenkeller verortet worden war, ist mit Vorsicht zu genießen: Sollte auch diese World Series wieder verloren gehen, dürfte Chicago sich schnell wieder auf die Seite der Cubs schlagen.

THOMAS WINKLER