Thüringische Transparenz

Die Stasi-Kommission des Landessportbundes Thüringen ist offiziell unabhängig, tatsächlich aber vor allem eine einflusslose Diskutierbude – und nun auch noch um ihren Opfer-Vertreter ärmer

VON ALEXANDRA KIESSLING

Henner Misersky ist wütend und enttäuscht. Einst hat die Stasi ihn verfolgt, jetzt wollte er den Spieß umdrehen. Doch anstatt ihrer Funktion nachzugehen und die dunkle Stasi-Vergangenheit etlicher thüringischer Sportfunktionäre näher zu beleuchten, hat die Stasi-Kommission des Landessportbundes (LSB) Thüringen bislang nur diskutiert. Bis Misersky der Kragen geplatzt ist. Nach einem Jahr Mitgliedschaft in der Kommission hat der „Vertreter der Opfer“ nun das Handtuch geworfen.

Lediglich Empfehlungen aussprechen kann die „unabhängige Kommission zur Aufarbeitung von Stasi-Belastungen im Sport des Landessportbundes Thüringen“, deren Vorsitz der ehemalige thüringische Sozialminister Dr. Frank-Michael Pietzsch hat. Stasi-Akten können Pietzsch und seine Kollegen selbst nicht einsehen. Sie sind auf die Mithilfe von Vereinen, Verbänden oder Journalisten angewiesen. Dass Pietzsch zu diesem Zweck ganz offiziell einen Rundbrief verfasst hat, in dem er Journalisten aufruft, ihm Informationen aus Stasi-Akten zuzuspielen, hat Marianne Birthler und Henner Misersky gleichermaßen entsetzt. Die eine hat Pietzsch in ihrer Funktion als Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen zurückgepfiffen. Eine Weitergabe von Stasi-Unterlagen, die von Journalisten zu Recherchezwecken eingesehen werden können, sei unzulässig, schrieb sie dem Kommissionsleiter. Der andere bezeichnet Pietzschs Brief als „Ausdruck der Hilfslosigkeit“. Misersky spricht inzwischen nur noch von einer Alibi-Kommission.

Tatsächlich gehen die Erfolge der thüringischen Stasi-Kommission, die 2004 nach der Biathlon-WM in Oberhof gegründet worden ist, gegen null. Schuld daran sei die Tatsache, dass die Kommission unabhängig sein sollte und es daher verpasst wurde, sie vom LSB Thüringen zur Akteneinsicht autorisieren zu lassen, erklärt die thüringische Stasi-Beauftragte Hildigund Neubert. Zwar könnten Arbeitgeber, und damit auch Vereine und Verbände, Überprüfungsanträge über Vorstandsmitglieder und leitende Angestellte stellen. Die Kommission habe diese Rechtskraft aber nicht. Sie hat, so Pietzsch, lediglich in vier Fällen Akteneinsicht bei der Birthler-Behörde gefordert. Zuvor mussten Pietzsch und seine Kollegen das Einverständnis der Betroffenen einholen. Eine Mitteilung habe die Kommission bislang nicht bekommen, bedauerte Pietzsch, nicht mal eine negative. Wirklich zu stören scheint dies den ehemaligen CDU-Politiker jedoch nicht. Er propagiert die Idee der Verjährung, spricht von „Wiedereingliederung“ und einer „Chance“, die man ehemaligen Stasi-Mitarbeitern 15 Jahre nach der Wende geben müsse.

Neben dieser Einstellung ist es vor allem die Unselbstständigkeit der Kommission, die Neubert und Misersky so ärgert. Neubert hatte eine Mitarbeit in der Kommission von vornherein ausgeschlossen. „In einer Überprüfungskommission, die unwirksam sein muss, arbeite ich nicht mit“, hatte Neubert beschlossen. Misersky hat nach einem Jahr „Stillstand und vertaner Zeit“, wie er es nennt, und einem persönlichen Konflikt mit LSB-Präsident Peter Gösel entnervt aufgegeben.

Er sei der Kommission einst beigetreten, um Licht in die dunkle Stasi-Vergangenheit im DDR-Spitzensport zu bringen, sagt Misersky. Der Gerechtigkeit willen, schließlich habe die Stasi nicht nur Karrieren, sondern ganze Leben zerstört. „Ich bezeichne mich nicht als Opfer. Opfer sind für mich die, die in Bauzen im Knast gesessen haben“, sagt Misersky, dessen Tochter Antje 1992 Olympiasiegerin im Biatholn geworden ist. Er selbst ist 1968 von Manfred Thieß, dem späteren thüringischen LSB-Präsidenten, der heute noch als Leiter der Thüringer Sportakademie für den LSB arbeitet, bespitzelt worden. Weil er Westverwandtschaft hatte und in seiner politischen Gesinnung von der Stasi als „unzuverlässig“ eingestuft worden war, durfte der Leichtathlet Misersky nicht ins kapitalistische Ausland reisen, die Spitzensportförderung des 3.000-Meter-Hindernisläufers wurde eingestellt. Später wurde Misersky als Skilanglauf-Trainer gefeuert, weil er sich gegen das DDR-Dopingprogramm wehrte. Selbst eine akademische Laufbahn wurde dem Sportwissenschaftler von der Stasi verwehrt.

Mittels eines wissenschaftlichen Forschungsauftrags wollte Misersky die dunkle Stasi-Vergangenheit etlicher thüringischer Sportfunktionäre aufdecken. Er wollte dafür sorgen, dass im thüringischen Sport kein Platz mehr ist für Menschen, die das Leben anderer Menschen einst so maßgeblich beeinflusst haben. Die Stasi-Kommission des LSB Thüringen war jedoch nicht das passende Gremium, inzwischen hat Misersky resigniert. „Diese ‚unabhängige‘ Kommission ist viel zu nah dran am LSB und den Leuten, die in der Stasi drin waren“, sagt er und fährt fort: „In der Kommission sitzen ein Journalist, der Pressewart vom Eislauf-Verband ist, ein katholischer Sport-Pfarrer, der bei Großveranstaltungen VIP-Gast des LSB ist, den Vorsitz hat der ehemalige thüringische Sport- und Sozialminister. Das sind Duz-Freunde vom LSB-Präsidenten. In dieser Kommission besteht kein Streben nach Transparenz.“