Zu doll angebumst

Eine Gefühlskranke im Eiswasser eines Gefühlstoten: Kirsten Fuchs’ Debütroman „Die Titanic und Herr Berg“

Für Peter sind die Zusammenkünfte „Fickfeste“, für Tanja eine „Schwebebahn“

Noch nicht mal der Titel tut ein bisschen verschwurbelt sublim: Er gefällt sich in schlagzeilenartiger Eindeutigkeit. Hier „Titanic“, da Berg. Hier „Die“, da „Herr“. Bum. Und so geht es innen lustig weiter: Erst erzählt sie, dann er, immer im Wechsel – hübsch voneinander getrennt durch unterschiedliche Schrifttypen: Sie bekommt so etwas Weiches in Richtung Times New Roman, er muss sich mit einer scharfkantigeren Serifenlosigkeit zufrieden geben. Beide erzählen, als Ich, von sich, übereinander. Als läse man parallel zwei geheime Tagebücher. Die Einträge erzählen zwei bestürzend unterschiedliche Geschichten, die eigentlich eine Geschichte sind. Hätten werden sollen. Wenn denn mehr aus dieser Geschichte geworden wäre als die heiße und hoffnungslose Affäre eines halben Jahres mit wenig Gespräch und viel Körper.

Diese Körper werden in Kirsten Fuchs’ Debütroman „Die Titanic und Herr Berg“ programmgemäß in einen Crash verwickelt. Die eine Unfallpartei ist Tanja Jannsen, Anfang zwanzig und Sozialhilfeempfängerin – eine romantisch-neurotische Tagträumerin mit einigen verdrängten dunklen Flecken in der jungen Biografie. Tanja crasht in Peter Berg, ihren neuen Sachbearbeiter beim Sozialamt, einen wahren Eisberg, die Inkarnation sozialer Kälte: Sein Mitleid hat der 42-Jährige „verbummelt“, zynisch rotzt er die Welt an und verwaltet in der Amtsstube das Elend anderer so kaltschnäuzig, wie er abends im Neonlicht seines Aquariums einsam masturbiert. Zwei gescheiterte Ehen und zwei Kinder, die ihm irgendwie „passiert“ sind, schreibt er sich mit Lust am Eigenleid auf seinem „Alles ist Scheiße“-Konto gut.

Tanja verliebt sich Hals über Kopf und bekommt Peter zumindest in ihr Bett. Da werden lautstark Klamotten zerrissen, Bissspuren an Hüftknochen hinterlassen, Laken in Wellen gefickt und Rotationen um Schwanzachsen vollführt. Die „Titanic“ rammt den Berg beim Rammeln. Ein glasklares, nüchternes, fast plattes Bild. Dumm nur, dass die „Titanic“ – Titanja – von vornherein einen Riss bekommt, voll läuft mit dem Wasser der Liebe und der Berg ausschließlich hart bleibt, als Schwanz genauso wie als Nichtliebender.

Für Peter sind die Zusammenkünfte „Fickfeste“, auf denen sie „sexen wie die Kaputten“. Für Tanja sind sie eine „Schwebebahn“, auf der „von unten hoch ein Flammenwerfer schießt“ und die nur danach schreit, in Hochzeit, Kinder, gemeinsames Laminatverlegen und Liebesurlaube auf Hiddensee umgemünzt zu werden.

Zugegeben: Die Rollenkonstellation in diesem körperflüssigkeitsintensiven Zusammenprall ist altbacken, die Bildidee mit der „Titanic“ ein wenig schenkelklopferisch. Und doch macht Kirsten Fuchs – seit zwei Jahren taz-Kolumnistin und Gewinnerin des „Open Mike“-Wettbewerbs 2003 – aus den schalen Zutaten ihrer Geschichte ganz lässig und herrlich sprachmanschettenlos eine interessante Angelegenheit: Da wären einmal ihre Protagonisten, die man nicht versteht, von denen man aber immer noch mehr wissen will. Warum Tanja mit fast parabelhafter Unbedingtheit zurückgeliebt werden will; ausgerechnet von diesem Peter, der erstarrt in seinem Weltekel so jenseits von wirklich jeglicher Gefühligkeit herumdumpft.

Und da wäre zweitens Kirsten Fuchs’ Sprache: Die ist im Satzbau klar, nüchtern, direkt. In den Bildern allerdings ist sie verspielt, geradezu geil auf mal allzu Nahe-, mal allzu Fernliegendes. Und dabei nie mit dem tranigen Anspruch ernst gemeinter Poetik oder dem öligen Gestus pornografischer Schwiemeligkeit unterwegs. Dieser Roman vollzieht eine schnelle und intensive Trauerarbeit – um zwei völlig verkorkste Begehrensstrukturen, die aus dem großen Bums wieder nicht mehr als einen grauenvollen Unfall werden lassen. KIRSTEN RIESSELMANN

Kirsten Fuchs: „Die Titanic und Herr Berg“. Rowohlt Berlin, Berlin 2005, 286 Seiten, 18,90 €