Wirrer Angriff auf „Ungläubige“

Attacke Ein Mann ersticht im oberbayerischen Grafing einen Passanten, verletzt weitere schwer und ruft dabei „Allahu akbar“. Ist er Islamist? Oder einfach nur verwirrt?

Eine der Attacken fand noch im Zug statt Foto: Gebert/ dpa

von Konrad Litschko

und Sabine am Orde

BERLIN taz | Das bayerische Grafing rühmt sich seiner Idylle: 13.500 Einwohner, viel Grün, Wiesen und Wälder. Dennoch nur 40 Minuten per S-Bahn bis zur Münchner Innenstadt.

Am Dienstagmorgen wurde diese Idylle jäh gestört. Ein 27-Jähriger stach gegen 5 Uhr, kurz nach Einfahrt des ersten Zugs nach München, am Bahnhof Grafing mit einem Messer wahllos auf vier Männer ein. Ein 56-Jähriger starb, ein weiterer Mann schwebt noch in Lebensgefahr.

Und es dauerte nur kurz, da wurde die Tat zum Politikum. Denn laut Polizei hatte der Mann „Äußerungen“ gemacht, „die auf eine politische Motivation schließen lassen“. Zeugen berichteten von „Allahu-akbar“ („Gott ist groß“)-Rufen und dem Ausspruch: „Ihr Ungläubigen, ihr müsst jetzt sterben.“

Es wäre die erste islamistische Tat mit einem Todesopfer in Deutschland seit März 2011 gewesen, als ein Deutschkosovare am Flughafen Frankfurt/Main zwei US-Soldaten erschoss und zwei weitere schwer verletzte. Und erst vor wenigen Wochen hatte eine 15-jährige IS-Anhängerin einen Polizisten in Hannover mit einem Messer attackiert. In Grafing bildete das LKA sofort eine Sonderkommission mit 80 Beamten.

Nur: Der Verdacht bestätigte sich bislang nicht. Am Nachmittag erklärte die Polizei auf einer Pressekonferenz, Hinweise auf einen islamistischen Hintergrund gebe es derzeit nicht. Bisher gebe es keine Hinweise, dass der Verdächtige – Paul H., ein Deutscher ohne Migra­tions­hintergrund aus dem Raum Gießen – Kontakt zu entsprechenden Vereinigungen habe. Erkenntnisse über eine Radikalisierung gebe es nicht, ebenso wenig auf den Konsum von Propagandavideos, sagte ein Ermittler. H.s Facebook-Profil sei „völlig unauffällig“ gewesen. Für Polizei und Verfassungsschutz war er ein Unbekannter. Nicht mal, ob H. konvertiert sei, war klar. Wenn, dann müsste dies in jüngster Zeit erfolgt sein.

Laut Ermittlern habe der Verdächtige nach seiner Festnahme vielmehr einen „wirren“ Eindruck gemacht. LKA-Kriminaldirektor Lothar Köhler sagte, es sei schwierig, von dem Festgenommen „plausible Auskünfte zu erhalten“. H. habe in der Vergangenheit Drogen konsumiert und war kurz in psychiatrischer Behandlung.

Es sei schwierig, von dem Festgenommenen „plausible Auskünfte zu erhalten“

Schon tags zuvor sei Paul H. von Fulda nach München gereist, habe die Nacht mangels Geld am Hauptbahnhof verbracht und sei schließlich nach Grafing gefahren. Offenbar Zufall: Einen Bezug zur Stadt gebe es bisher nicht, so die Polizei.

Am Bahnhof war H. barfuß unterwegs, wahllos attackierte er mit einem Survivalmesser mit zehn Zentimeter langer Klinge seine Opfer. Von der Polizei ließ er sich widerstandslos festnehmen. Warum er aber „Allahu akbar“ gerufen haben soll, bleibt unklar. Eine politische Straftat werde deshalb weiter geprüft, sagte Köhler. H.s Wohnung wurde durchsucht, in seinem Rucksack fand die Polizei Laptop und Handy.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verurteilte den Angriff scharf. „Das war eine abscheuliche, eine feige Messerattacke.“ Da das Motiv der Tat noch nicht abschließend geklärt sei, wolle er aus der Ferne nicht darüber spekulieren. Auch Grafings Bürgermeisterin Angelika Obermayr zeigte sich erschüttert. „Wir sind ein absolut friedliches ober­bayerisches Kleinstädtchen.“