Eines Tages war meine rote Sackkarre verschwunden. Ich begann zu ermitteln
: Der Verdacht

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AM RAND

Klaus Irler

Zu den Irritationen des Alltags gehört, dass meine rote Sackkarre verschwunden ist. Ich hatte sie in der Tiefgarage geparkt, ordnungsgemäß auf meinem Stellplatz, und als ich kürzlich Mineralwasser im Supermarkt gegenüber holen wollte, war die Sackkarre nicht mehr da.

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die in einem solchen Fall sofort an Diebstahl denken. Ich vermutete, dass ich die Karre verlegt hatte. Nur wo und wie? Als erstes ging ich in den Supermarkt gegenüber und fragte, ob eine rote Sackkarre aufgetaucht sei. „Nein“, sagte die Verkäuferin mit konsterniertem Blick. „Aber so eine Sackkarre kann man auch nicht vergessen, oder?“

Sie hatte Recht. Also dachte ich, dass sich jemand die Sackkarre ausgeliehen haben wird. Als sie nach mehreren Tagen nicht zurückkam, setzte ich mit dem Gedanken auseinander, dass sie doch Ziel krimineller Energie am Hamburger Stadtrand geworden war. Hat vielleicht die alte Frau Jansen aus dem ersten Stock eine dunkle Seite? Das würde erklären, warum sie ihrerseits ständig Angst vor Verbrechen hat. Oder waren es gelangweilte Vorstadt-Teenies, weil sich so eine Sackkarre recht unproblematisch klauen lässt?

Leider habe ich keine Ahnung, wie Vorstadt-Teenies heutzutage ticken. Ein paar ältere sehe ich manchmal im Park, da sitzen sie auf einer Bank und kiffen, und ich wundere mich, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das in der Öffentlichkeit tun. Ein paar jüngere Teenies hörte ich am 31. Oktober, das ist für sie Helloween, vor dem Supermarkt reden: Ausgestattet mit Eiern und Rasierschaum diskutierten sie, welche Gebäude sie bewerfen und besprühen sollten. „Das Haus der Jugend“, sagte einer. „Die Häuser der Bonzen“, sagte ein anderer.

„Geht zu den Bonzen“, dachte ich, sagte aber nichts. Teenies sind für Ratschläge dieser Art nicht empfänglich, sagt man, und ich glaube, das stimmt.

Übrigens glaube ich, dass in der Tiefgarage neben der Sackkarre noch zwei leere Wasserkisten standen, also 6,60 Euro Pfand, die es zusätzlich zu erbeuten gab. Ich begann, in den umliegenden Grünanlagen zu fahnden: Die Teenies würden meine Karre bestimmt in die Rabatten pfeffern, wenn die Kohle eingesackt war. Aber ich fand nichts. Und kaufte mir eine neue Karre.

Tage später, die rote Sackkarre wollte mir nicht aus dem Kopf gehen, fragte ich im Supermarkt nochmal nach. Nicht an der Kasse, sondern hinten, im Getränkelager. „Eine rote Sackkarre? Ja, die stand eines Tages vorne bei der Kasse“, sagte der Mitarbeiter. „Hier ist sie!“

Jetzt habe ich zwei Sackkarren, wieder normal wenig Angst vor Teenies und Frau Jansen – und eine neue Unsicherheit: Ich habe die Sackkarre tatsächlich im Supermarkt vergessen. Ein klassischer Aussetzer. Gerne wüsste ich, welche Aussetzer ich noch so alles habe, die mir nicht auffallen. Ich werde es nie erfahren.