Manöver im Ferienlager

PROPAGANDA Lehrfilme der Staatssicherheitsdienste aus der DDR, auch aus Ungarn und der Tschechoslowakei, dokumentiert die Reihe „Kino der Geheimdienste“ im Zeughauskino

„Immer lebe die Sonne“ wirkt wie ein Remake von Riefenstahls „Tag der Freiheit – Unsere Wehrmacht“

VON BERT REBHANDL

Die DDR war ein Staat, der sich von „inneren und äußeren Feinden“ bedroht wähnte. Davon waren alle Bereiche des öffentlichen Lebens gleichermaßen betroffen – eine Fahrzeugkolonne mit Erich Honecker und ein Sommerlager für Kinder, eine Grenzübergangsstelle oder ein öffentlicher Platz. Die Behörde, die für die Abwehr der entsprechenden Gefahren zuständig war, war das Ministerium für Staatssicherheit (MfS), das in der populären Wahrnehmung heute vor allem für seine umfangreiche Überwachungstätigkeit in Erinnerung bleibt, das damals jedoch als „Sicherheitsorgan“ der DDR zumindest für die offiziellen Stellen ein wesentlicher Faktor der Innen- und Außenpolitik war.

Wie alle bürokratischen Apparate begann auch das MfS irgendwann, die medientechnischen Möglichkeiten zu nützen, die der Film bot. So gibt es eine reiche Überlieferung mit Schulungsfilmen, Überwachungsbildern und allerlei Dokumentationen des Alltags, der vor allem von Jahrestagen geprägt war.

Aus diesem Material, das die BstU (Stasi-Unterlagen-Behörde) heute der wissenschaftlichen Bearbeitung zugänglich hält, haben Karin Fritzsche, Dietmar Kammerer und Barbara Wurm nun eine repräsentative Auswahl getroffen, die unter dem Obertitel „Kino der Geheimdienste“ bis 17. Dezember im Zeughaus Kino im Deutschen Historischen Museum zu sehen ist: insgesamt neun Programme, darunter auch jeweils eines mit Lehrfilmen der tschechoslowakischen und ungarischen kommunistischen Sicherheitsdienste. Der Schwerpunkt liegt jedoch eindeutig auf der DDR. Zum Teil gibt es Überschneidungen mit dem Kurzfilmfestival Interfilm, das kürzlich unter dem Titel „Stasi intim“ eine Auswahl von entsprechenden Werken gezeigt hatte. Sie ziehen ein doppeltes Interesse auf sich: Einerseits dienen sie ganz unmittelbar als historische Quellen, erlauben Rückschlüsse auf die jeweilige politische Großwetterlage und lassen auch so etwas wie eine Mentalitätsgeschichte erkennen. Andererseits haben sie auch eine spezifische „Ästhetik“, wenngleich die Umstände dem in der Regel nicht förderlich waren. Viele Aufnahmen stammen aus unsichtbaren Videokameras und zeigen weitgehend unbearbeitet Verhöre oder Straßenszenen.

Teufeleien und Sexszenen

Andere aber sind eher an einer Erzählung interessiert, wie „Luzifers Ordonnanz“ – „eine nicht alltägliche Geschichte für Tschekisten“ aus dem Jahr 1986, in der ein Fall rekonstruiert wird, der sich bei der Zollwache zugetragen und bei dem sexuelles Begehren eine wichtige Rolle gespielt hat. Die Regie gibt sich ironisch und eröffnet mit dem Lied „Wenn wir alle Englein wären“, nur um dann den „seltsamen Dingen, die sich (1984/85) in unserer Hauptstadt“ begaben, eine Teufelsmaske umzuhängen. „Luzifers Ordonnanz“ zeigt, dass die Filme der DDR-Staatssicherheit gelegentlich von einem gewissen Ehrgeiz geprägt waren, es gab immer wieder einen Gestaltungswillen, dessen Ergebnisse im Rückblick ein wenig komisch wirken.

Der Film „Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände“ feierte 1967 „das unzerstörbare Kampfbündnis der sowjetischen und deutschen Tschekisten“

Ganz und gar nicht lustig ist hingegen der Bericht von einem Ferienlager für Kinder der Angehörigen des MfS: „Immer lebe die Sonne“ gibt sich zu Beginn ganz arglos, bei Sport und Spiel sollen die jungen Bürger der DDR ihren Sommer verbringen. Dann schwenkt die Kamera auf die Fahne, die über diesem Lager weht: Sie verkündet eine „Lagerfreundschaft“, die im Zeichen von Felix Dzerzhinsky stand, dem berüchtigten Leiter des sowjetischen Geheimdiensts. Statt Sport und Spiel werden die Kinder zu einem „Tag der bewaffneten Organe“ gerufen, bei dem allerlei militärisches Gerät aufgefahren wird und der mit einem Manöverspiel endet.

Dass „Immer lebe die Sonne“ wie ein Remake von Leni Riefenstahls „Tag der Freiheit – Unsere Wehrmacht“ wirkt, kann nicht im Sinne der Gestalter gewesen sein und war ihnen sicher auch nicht bewusst. Doch für den Filmgeschulten ist dies die deutlichste Assoziation, die sich einstellt. Sie macht nur noch einmal deutlich, welche untergründigen Kontinuitäten es zwischen den Propagandaformen der beiden Systeme des Nationalsozialismus und des Staatskommunismus gab.

In dem Programm „Von Spionen und Kundschaftern“ wird die permanente Furcht vor Unterwanderung durch „Reinszenierung“ von Anwerbungsversuchen gebannt, denn diese erweisen sich durchweg als erfolglos, auch alle auftretenden „DDR-Wissenschaftler im Visier imperialistischer Geheimdienste“ in einem gleichnamigen Film aus 1987 lassen sich nicht zu einem „brain drain“ verführen. In einem abendfüllenden Dokumentarfilm „Kühler Kopf, heißes Herz, saubere Hände“ wurde 1967 „das unzerstörbare Kampfbündnis der sowjetischen und deutschen Tschekisten“ gefeiert – heute würde man bei diesem Titel eher an Vorsorge gegen die Schweinegrippe denken, damals waren das die Tugenden, die der DDR gegen innere und äußere Feinde angebracht erschienen und die nur dann konterrevolutionär wurden, wenn Luzifer ein heißes Herz in Wallung brachte.

■ Kino der Geheimdienste im Zeughauskino: Lehrfilme der tschechoslowakischen Sicherheitsdienste, 1. 12., 20 Uhr; der ungarischen Sicherheitsdienste 8. 12., 20 Uhr; über Rückkehrer aus der BRD in die DDR 11. 12., 21 Uhr