Küsten, vereinigt euch

In Deutschland gibt es nicht eine Behörde, die für Katastrophen auf See zuständig ist, sondern ein gutes Dutzend. Regelmäßig und erfolglos fordert Schleswig-Holstein eine einheitliche Küstenwache

von Esther Geißlinger

Der alljährliche Pallas-Tag rückt näher: Am 29. Oktober 1998 trieb der brennende Holzfrachter bei Amrum auf eine Sandbank – was folgte, war Chaos. Wer sollte, musste, durfte retten? Eine zufrieden stellende Beantwortung dieser Fragen steht nach Meinung des schleswig-holsteinischen Innenministers noch aus. Gestern erneuerte sein Staatssekretär Ulrich Lorenz die alljährliche Forderung aus Kiel nach einer einheitlichen deutschen Küstenwache. Die sicherheitspolitischen Aufgaben auf See seien so groß, dass man sich ein Nebeneinander von Länder- und Bundeszuständigkeiten nicht mehr leisten könne, so Lorenz. Er forderte seine norddeutschen Länderkollegen und das Bundesverkehrsministerium auf, ihren Widerstand aufzugeben.

Statt einer Behörde, die für Seekatastrophen zuständig ist, gibt es in Deutschland ein Dutzend: Jedes Land unterhält eine eigene Wasserschutzpolizei, der Bundesgrenzschutz mischt mit, der Zoll hätte vielleicht ein geeignetes Boot in der Nähe, und was ist eigentlich mit der Marine? Dass Schleswig-Holstein sich regelmäßig auf Innenministerkonferenzen für eine Bündelung der Kompetenzen ausspricht, hat gute Gründe: Erstens hat das Land mit der Pallas-Katastrophe den Ernstfall schon erlebt, zweitens liegt es an wichtigen Schifffahrtsstraßen – unter anderem am Nord-Ostsee-Kanal, der meist befahrenen künstlichen Seestraße der Welt. Damit steht das Problem nicht mehr vor der Haustür, sondern in der guten Stube: Ein Chemietanker, der auf Höhe von Rendsburg explodiert, würde das halbe Land schädigen.

Dennoch dümpelt der Plan einer Küstenwache seit Jahren auf der Stelle, lediglich ein gemeinsames Havariekommando wurde inzwischen in Cuxhaven eingerichtet. Der Grund dafür, dass niemand sich so richtig auf Schleswig-Holsteins Seite schlagen mag: Die Länder müssten Kompetenzen abgeben. Neuerdings geht es nicht mehr nur darum, Polizeiaufgaben an den Bund abzutreten, dazu wäre eine Grundgesetzänderung nötig, sondern auch, die Marine einzubinden, vor allem als Schutz gegen Terrorakte auf See. Das allerdings berührt den heiklen Punkt, Soldaten im Inland einzusetzen. Schleswig-Holstein und die Schutzgemeinschaft Deutsche Nordseeküste schlagen die „Organleihe“ vor, bei der Landes-„Organe“ wie die Polizei vom Bund für bestimmte Aufgaben ausgeliehen werden könnten.

Dennoch bleiben die Küstenländer, vor allem Niedersachsen, störrisch: Gefahrenabwehr sei eine Kernkompetenz der Länder und müsse dort bleiben. Was zunächst nach reinem Schmollwinkel klingt, verteidigte Jörg Schmietendorf, Fachreferent des Niedersächsischen Innenministeriums, bei einer Anhörung im Bundestag im vergangenen Jahr. Die Niedersachsen fürchten, dass die Küstenwache zu einer „Mammutbehörde“ mutiert, die im Ernstfall auch nicht besser funktioniere als das heutige Nebeneinander. Vor allem stört die Niedersachsen, dass sich die Modelle am Ernstfall orientieren: „Eine Behörde, die sich die Ausnahmesituation zum Maßstab nimmt, muss in wirtschaftlich nicht vertretbarem Maß Personal vorhalten und Kompetenzen an sich ziehen, die möglicherweise nie benötigt werden.“ Sinnvoller sei eine gute Kooperation der bestehenden Dienste und Behörden. Unterstützung erhielt der Niedersachsen vom Bundesgrenzschutz. Das Gezerre wird vermutlich noch eine Weile weitergehen – bis zur Neuauflage der Förderalismuskommission oder bis zur nächsten Pallas.