heute in Bremen
: "Das hat mich verändert"

demokratie lernen Hans-Wolfram Stein erklärt wie SchülerInnen in Bremen Politik gestaltet haben

Hans-Wolfram Stein

:

66, unterrichtete Politik und Wirtschaft an allen Schularten in Bremen

taz: Herr Stein, ist Ihr Buch Verteidigung – oder Ermutigung?

Hans-Wolfram Stein: Eine Ermutigung! Es soll ermutigen, junge Menschen dazu zu bringen, sich einzumischen, und führt den Nachweis, dass sich das lohnt.

Ach, das tut es?

Ja. Im Wesentlichen durch Schulprojekte sind hier in Bremen allgemeine Vorschriften und Gesetze verändert worden. Die vorherrschende Meinung von Lehrern und Schülern ist eher: Meine Meinung zählt ohnehin nicht.

Und das ist falsch, haben Sie durch Ihre Projekte gelernt?

Ja. In einer pluralistischen Gesellschaft weiß jeder, dass es gesellschaftliche Kräfte gibt, die erfolgreich auf Politik einwirken: Lobbyisten schreiben Gesetzestexte mit. Bei der Vorstellung, dass Schüler dazu einen Beitrag leisten könnten, da denkt man in der Regel: Schön wär’s. Aber unrealistisch.

Sie nicht?

Das wäre 1990 auch meine Position gewesen. Ich weiß inzwischen: Diese Position ist falsch. Unter bestimmten Voraussetzungen – gute Recherche, neue Argumente – kann man so in den Diskurs eingreifen, dass verfasste Politik diese Beiträge wahrnimmt und reagiert. Das hat mich verändert. Das traue ich mir zu. Das traue ich erst recht meinen SchülerInnen zu.

Dafür müssen Sie sich gegen den Vorwurf wehren, hier impfe ein Alt-1968er den SchülerInnen die richtigen Ziele ein.

Das ist eine Frechheit gegenüber den SchülerInnen. Die haben jedes der im Buch dargestellten Projekte eigenständig erarbeitet. Ich habe ihnen Materialien besorgt, die nicht ohne Weiteres zugänglich waren: Zum Beispiel kann ich von Schülern nicht erwarten, dass sie sich beim Bundesamt für Statistik nach einer Sonderauswertung der Einwohnermeldedaten zur Einbürgerung mit Doppelpass erkunden.

Das haben dann Sie gemacht?

Das ist, was ein Lehrer tun kann. Aber die Schüler haben diese Sachen ausgewertet. Sie haben die Begriffe gelernt, mit denen man die Sachen erfasst. Das ist wichtig, denn allein mit Alltagssprache kann man sich nicht in den politischen Diskurs einmischen.

Warum bleibt die Mehrheit der akademischen Politikdidaktiker denn so skeptisch?

Ich fürchte, es wird davon ausgegangen, man müsste einheitliche Meinungen haben, um ein politisches Ziel zu erreichen.

Und das muss man nicht?

Nein, man kann aus unterschiedlichsten Meinungen der Auffassung sein, ein Doppelpass ist gut. Man kann aus unterschiedlichen Meinungen heraus der Auffassung sein, dass die Sexualkunderichtlinien verändert werden müssten.

Aber der gegenteiligen Auffassung könnte man nicht sein?

Doch. Wenn ein Schüler den Doppelpass ablehnt, kann er das der Klasse erklären.

Und dann?

…lernt er alles über den Doppelpass im Rahmen des ganz normalen Politikunterrichts – ohne den Lösungsansatz: ‚Generelle Akzeptanz des Doppelpasses, weg mit der Optionspflicht!‘ mitzuvertreten.

Sie gehen davon aus, dass man Demokratie nur durch demokratisches Handeln lernt.

Ein Sportlehrer kann seinen Schülern viel übers Schwimmen beibringe – aber durch Sporttheorie lernst du nicht schwimmen. Genauso ist es bei der Politik. Wenn du politisch Verantwortung übernehmen willst, und dazu sollen wir die SchülerInnen laut Schulgesetz anleiten, dann geht das nur durch Handeln. Und zwar durch Handeln in der Realität.

interview: benno Schirrmeister

Hans-Wolfram Stein: Demokratisch Handeln im Politikunterricht, 2016, 254 S., 24,80 Euro

Bremer Buchpremiere: 18 Uhr, Stadtbibliothek