LeserInnenbriefe
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Verrat an der Heilpädagogik

betr.: „Behinderte Aufklärung“, taz.am wochenende vom 16. 4. 2016

Der Artikel schneidet viele Themen an. Auf ein Problem möchte ich hinweisen. Frau Hänsel betont die Kontinuität vom Verband der Hilfsschulen Deutschlands zur Fachschaft Sonderpädagogik des Nationalsozialistischen Lehrerbunds (NSLB). Diese Kontinuität behaupteten auch Parteigenossen Martin Breitbarth und Willibald Friederici, die den Verband am 28. Mai 1933 auf einer außerordentlichen Vertreterversammlung gleichschalteten. Dass sich die Vertreter aus den Bundesländern gleichschalten ließen und fast einstimmig beschlossen, korporativ in den NSLB überzutreten, war ein schmähliches Versagen. Nur zwei – vermutlich sozialdemokratische – Vertreter aus dem roten Mannheim enthielten sich der Stimme.

Die Mischung aus Betrug und Erpressung, mit der Breitbarth und Friederici vorgingen, spielt bei Frau Kollegin Hänsel keine Rolle. Nach ihrer Art zu urteilen und zu verurteilen, war das „ein Verschweigen“. Ich kenne Frau Hänsel persönlich und weiß, dass das nicht der Fall ist. Sie hat sich mit Breitbarth und Friederici (noch) nicht befasst. Sie akzentuiert von den Mitläufern her anders und präsentiert die NS-Version von der Kontinuität als das Ergebnis ihrer Forschung. Die beiden NS-Handlanger verdienen es nicht, dass man ihnen den Verrat an der Heilpädagogik durchgehen lässt. Auch dem „Märzgefallenen“ Dr. Karl Tornow, einem NS-Karrieristen, sollte man kein Denkmal setzen, nicht einmal in kritischer Absicht. Mit der „Aufarbeitung der Geschichte“ hat die schlichte Übernahme der NS-Version von Kontinuität, verbunden mit dem Gestus der Empörung, nichts zu tun. Es war schlimmer und abgründiger, als Frau Hänsel wähnt.

Andreas Möckel, Würzburg

Ein unakzeptables Vorgehen

betr.: „Behinderte Aufklärung“, taz.am wochenende vom 16. 4. 2016

Die taz widmet sich mit ihrem Beitrag der Frage, ob die Sonderschule als Schulform ein Erbe der Nazis sei, und folgt hier ganz offenbar der Lesart von Dagmar Hänsel, die diese These bereits in mehreren Veröffentlichungen hat unter Beweis stellen wollen und inzwischen auch wissenschaftliche und politische Verbände nachdrücklich dazu auffordert, diese Lesart zu übernehmen.

Dabei scheint das Anliegen Hänsels aber nicht eine differenzierte historische Forschung zu sein, denn dann würde es ja genügen, Forschungsgelder einzuwerben und weitere Forschung zu dieser Fragestellung anzustrengen. Vielmehr geht es um die politische Durchsetzung einer These, die Frau Hänsel ihren Arbeiten auch voranstellt, um sie dann mit einschlägigen Fundstücken zu belegen – ein in der Geschichtsforschung allerdings unakzeptables Vorgehen.

Und wer ist der Adressat der These, die Sonderpädagogik und die Schulform Sonderschule entstammten der NS-Zeit beziehungsweise hätten sich durch diese erheblich profilieren können und trügen dieses Erbe ungebrochen fort? Die Sonderpädagogik als Wissenschaft oder der Verband der Sonderpädagogik oder ununterschieden beide? Denn es ist natürlich unrichtig, dass sich die Sonderpädagogik als wissenschaftliches Fach ihrer historischen Vergangenheit nicht gestellt habe – insbesondere die von Ernst Klee angestoßene Aufarbeitung der NS-Euthanasie-Geschichte hat seit den 1980er Jahren zu einschlägigen Fachtagungen und Publikationen geführt. Zudem sind mir auch keine Vorlesungen zur Geschichte der Sonderpädagogik bekannt, in denen die NS-Geschichte nicht thematisiert würde.

Und schließlich ist die nationalsozialistische Vergangenheit kein Alleinstellungsmerkmal der Sonderpädagogik, wie auch die Entwicklung der Hilfsschule im ausgehenden 19. Jahrhundert zwar auf Initiativen der damaligen Taubstummen- und Hilfsschulpädagogen zurückging, eine Idee, die sich allerdings ohne dazugehörigen gesellschaftlichen Bedarf kaum historisch hätte durchsetzen können. Offenbar sucht der vermeintliche Skandal noch seinen Gegenstand. Vera Moser,Berlin

Getrieben von AFD, PEGIDA, CSU

betr.: „Blau gegen Grün“, taz vom 30. 4. 16

Mein Arzt hat mir jede Aufregung verboten, deshalb keine Artikel von Peter Unfried! Aber jetzt habe ich doch gelesen – und: tief durchatmen. Immer wieder Unfrieds Lobeshymnen auf Schröder (Gazprom), Fischer (Berater) – und dies trotz der „rot-grünen Koalition“ ab Ende der 90er Jahre: mit Sozialabbau, Reiche wurden reicher, Arme wurden ärmer, Flüchtlingspolitik gegen Flüchtlinge, Zusammenarbeit mit den Folterinstitutionen in Afghanistan, Syrien und Guantánamo. Und jetzt der ewige Kretschmann.

Die Barbarei breitet sich aus, die „Lösung“ der „Flüchtlingskrise“ wird Massenmördern, Kriegsverbrechern in der Türkei, Sudan, Libyen und anderen Regierungen überantwortet – damit wir hinter Mauern, Stacheldraht und Militär geschützt sind. Vor wem? Wo ist Kretschmann und steht auf gegen die Barbarei? In Köln gibt es eine Turnhalle – mit 250 Männern in einem Raum mit provisorischen Betten nebeneinander seit 8 Monaten – oder mit 80 Flüchtlinge mit 30 Kindern dicht gedrängt. Einige sind bereits in der Psychiatrie. Riesige Häuser stehen leer mit unzähligen Wohnungen. Willkommenskultur.

Die ersten Flüchtlinge beschließen, in Kriegsgebiete zurückzukehren, weil sie es nicht mehr aushalten – geht da auf, was geplant? Die österreichische Regierung folgte dem Druck von rechts, schloss Grenzen und Balkanroute, ein Erfolg der FPÖ – bei den Wahlen. Herr Unfried will die Gesellschaft zusammenhalten mit Kretschmann – aber was für eine Gesellschaft ist das dann – getrieben von AFD, PEGIDA, CSU? Jürgen Crummenerl,Köln