Müller hier, da, trallala

Parteitag Mit 81,7 Prozent wird der Regierende Bürgermeister zum SPD-Chef gewählt – und danach zum Spitzenkandidaten gekürt. Vielleicht ist das letztlich zu viel des Guten

Einer der wenigen SPDler, die Krawatte trugen: Müller auf dem Parteitag am Samstag Foto: Stefan Boness/Ipon

von Bert Schulz

Die SPD will es ihren WählerInnen im Herbst leicht machen. Anders als die Grünen, die gleich mit vier PolitikerInnen als Aushängeschilder in den Wahlkampf ziehen, gibt es bei den Genossen seit Samstag nur noch Müller: Michael Müller. Der Regierende Bürgermeister wurde auf dem Parteitag zum Vorsitzenden gewählt – ohne Gegenkandidat mit 81,7 Prozent der Stimmen – und auch gleich noch zum Spitzenkandidaten für die Abgeordneten­hauswahl gekürt.

Fortan macht der 51-jährige Müller also (fast) alles. Was noch zum Problem werden könnte: Wo einer alles macht, müssen alle anderen nicht mehr viel machen. Die SPD droht im Herbst an der fehlenden Mobilisierung ihrer Basis und ihrer WählerInnen zu scheitern.

Dafür, dass es bei der SPD nicht richtig läuft, liefert der Parteitag im Neuköllner Hotelbunker Estrel einige Beispiele. Das erste ist Müller selbst, der sich zum Maß aller Dinge macht. Denn seine Ämterhäufung kommt ja nicht von ungefähr, wie er in seiner Rede noch vor der Wahl zum Parteichef zugibt. „Mir wurde in den letzten Wochen vorgeworfen, zu aggressiv zu streiten“, sagt Müller, um dann zu betonen, dass ihm „eben nicht alles schnuppe“ sei: „Mir ist es peinlich, wenn Menschen tagelang im Schlamm vor dem Lageso stehen.“ Eigentlich ist das eine Selbstverständlichkeit für einen Regierungschef. Umso erstaunlicher, dass er es betonen muss.

Müllers Lösung für Dinge, die nicht mehr funktionieren, war seit seinem Amtsantritt als Regierender Bürgermeister Ende 2014 oft, dass er die Aufgabe selbst übernahm – auch wenn er es eigentlich nicht wollte. So geschehen mit dem Chefposten im BER-Aufsichtsrat: Ursprünglich hat Müller mit den anderen Eignern des Pannenflughafens über eine professionellere Personalstruktur verhandelt. Als das scheiterte, machte Müller es im Juli 2015 doch selbst.

Oder der von ihm auf dem Parteitag erwähnte menschenunwürdige Umgang mit Flüchtlingen über Monate hinweg, eigentlich verantwortet von CDU-Sozialsenator Mario Czaja: Müller machte schließlich den Umgang mit Flüchtlingen zur „Chefsache“ – für die in den Augen der Öffentlichkeit nun er verantwortlich ist und nicht mehr Czaja.

Der AfD Paroli bieten

In Müllers Argumentation ist auch der von ihm sehr präzise terminierte Sprung auf den SPD-Chefsessel – der eigentlich einem Putsch gegen den bisherigen Amtsinhaber Jan Stöß gleichkommt – genau aus diesem Grund passiert. „Es geht mir hier nicht um Personalspielchen“, betont Müller in seiner Rede am Samstag. Die Personalunion sei nötig, um den kommenden harten Wahlkampf durchzustehen: „Es wird eine rustikale Zeit werden.“ Die Kräfte müssten gebündelt und gezeigt werden, dass „Senat und SPD sich gemeinsam den Herausforderungen der wachsenden Stadt“ stellen. Vor allem werde es darum gehen, der AfD Paroli zu bieten: „Wir müssen kämpfen gegen diese Spalter in unserer Gesellschaft.“

Die Chefetage der SPD

Im engen SPD-Vorstand wird Michael Müller künftig auch von einem Vertrauten unterstützt: Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel wurde mit mehr als 80 Prozent der Stimmen zu einem von vier Stellvertretern gewählt. Bestätigt wurden außerdem die bisherigen Stellvertreter Barbara Loth, Mark Rackles und Iris Spranger.

Auch Angelika Schöttler, die Bezirksbürgermeisterin von Tempelhof-Schöneberg und neu gewählte Kassiererin, gilt als Müller-Vertraute: Sie erhielt eher verhaltene 67,5 Prozent der Stimmen. (dpa, taz)

Müllers einstündige Bewerbungsrede ist engagiert, druckvoll, themenreich, er bekommt am Ende Standing Ovations. Und trotzdem fehlt ihr etwas Zwingendes, Entscheidendes. Und sein Wahlergebnis ist zwar keine Klatsche – in seinem Umfeld hatte man angeblich mit noch weniger gerechnet –, aber die 81,7 Prozent der 240 Delegierten sind eben auch nicht berauschend in einem Wahljahr.

Müller hatte sich diese Zwangssituation seiner Partei vor knapp drei Wochen zunutze gemacht, als er überraschend ankündigte, bei den turnusgemäß anstehenden Vorstandswahlen auch den Landesvorsitz übernehmen zu wollen. Jan Stöß, der Müller selbst vor vier Jahren in einer Kampfabstimmung aus dem Amt gedrängt hatte, trat daraufhin nicht noch einmal an – zu schwach war inzwischen seine Unterstützung in der Partei.

Stöß darf zum Abschied noch mal Bilanz ziehen – und nutzt dies für kaum verhohlene Spitzen auf seinen Nachfolger: Der 41-jährige Richter betont mehrfach, wie er die Partei aus einem Abnickverein für die Politik des Senats zu einem eigenständigen Akteur gemacht und wesentliche, für die SPD wichtige politische Veränderungen angestoßen habe: von dem laut Stöß gestärkten Einsatz für Mieter bis zur von der Basis angestoßene Prozess der Rekommunalisierung von Wasserbetrieben. Stöß endet mit den Worten: „Ich durfte dieser Partei vier Jahre als Vorsitzender vorstehen, und das war mir eine Ehre.“ Dafür erhält auch er Standing Ovations, wenn auch nicht allzu lange.

Nun hat Müller die Ehre – und auch die ganze Verantwortung für den Wahlkampf. Dabei ist die politische Lage den zwei aktuellsten Umfragen vom Wochenende zufolge unklarer denn je. So sieht das Institut Forsa die SPD bei 27 Prozent; eine tags zuvor veröffentlichte Umfrage von Infratest dimap ermittelt hingegen lediglich 23 Prozent. Ähnlich unterschiedlich fallen die Zahlen für den Koalitionspartner CDU aus: 18 Prozent bei Forsa stehen 21 Prozent bei Infratest dimap gegenüber – wobei hier weniger die unterschiedlichen Daten der Union als deren jeweilige Abstände zu den Sozialdemokraten erstaunen: Bei Forsa sind es neun Prozentpunkte, bei Infratest dimap lediglich zwei. Derart unterschiedliche Zahlen könnten auf eine große Unsicherheit bei der Wählerschaft hindeuten.

Die AfD wird allen Umfragen zufolge ins Parlament einziehen, mit 7 beziehungsweise 13 Prozent. Auch das erklärt Müllers starken Einsatz gegen die Rechtspopulisten, denn er will eine Koalition aus drei Parteien im Herbst unbedingt verhindern – zu der es indes so gut wie keine Alternativen gibt, wenn die AfD ins Parlament kommt.

Michael Müller macht sich mehrund mehr zum Maß aller Dinge

Koalitionsfrage bleibt offen

Welche Koalitionspartner der Regierende dann präferiert, lässt er weiterhin offen – es könnte auch die in der Partei inzwischen mehr als unbeliebte CDU sein. „Vielleicht ist es gar nicht wichtig, mit wem wir koalieren“, erklärt Müller in seiner Rede, „sondern für welche Inhalte man streitet: Welcher Koalitionspartner ist bereit, den sozialdemokratischen Weg für Berlin zu gehen?“ Auch das ist eigentlich ein Allgemeinplatz für einen designierten Wahlsieger.

Ein bisschen mehr Perspektive hätte es also durchaus sein dürfen. Eine Delegierte wirkt schon fast verzweifelt in ihrer Bitte an Müller, ab Herbst vielleicht doch auch über andere Optionen als die CDU nachzudenken.

Generell hätte es ein bisschen mehr sein dürfen an diesem Samstag, schließlich beinhaltete der Parteitag auch die vom König selbst vorgezogene Krönungsmesse als Spitzenkandidat. Sie verlief gegen Ende des Parteitagsprogramms geradezu unauffällig. Plötzlich war Müller gekürt – und dann wurde weniger über ihn geredet als über die mysteriöse zweite Gegenstimme, die er bei der Wahl per Handzeichen erhalten hatte. Sie kam von einem Mann mit angeklebtem, etwas breiterem Hitlerbärtchen. Offenbar kannte ihn niemand; es war nicht sicher, ob er überhaupt stimmberechtigt war, trotzdem akzeptierte die Parteitagsregie letztlich das Votum. Und so schnell, wie er auftauchte, war der Mann auch wieder weg.