Orkan der Lobpreisungen

Nach dem 2:1-Sieg des FC Bayern München in der Champions League gegen die eigentlich unschlagbare Übermannschaft Juventus Turin haben die Schulterklopfer alle Hände voll zu tun

AUS MÜNCHEN THOMAS BECKER

Es war kalt in München, das schon. Zwei Grad vielleicht, mehr nicht. Muss man da spät abends noch im Sommerdress mit den kurzen Ärmeln Fußball spielen? Muss man nicht, die Juve wollte aber. Nun ja. Jedenfalls ließ sich Alessandro Del Piero um kurz nach zehn ein Paar Handschuhe für die verkühlten Fingerchen geben – das völlig falsche Signal an seine Mannschaftskameraden. Mehr als eine Stunde war da bereits gespielt, Del Piero schon vor zwanzig Minuten eingewechselt worden – und immer noch nicht auf Betriebstemperatur. Wie die gesamte Juve. Ganz anders die Kicker aus der nördlichsten Stadt Italiens: Die Münchner Bayern traten zwar mit Ausnahme Ismaels allesamt in der langärmeligen Winterkluft an, gingen dafür aber von Beginn an dermaßen heiß, wach, konzentriert und entschlossen zur Sache, dass sich selbst der Fußball-Gott, dieses unstete Wesen, nicht den Gesetzen der Folgerichtigkeit widersetzen konnte: Bayern gewann 2:1, der erste Europapokalerfolg gegen eine italienische Mannschaft seit mehr als 15 Jahren, seit dem 2:1 gegen den AC Mailand im April 1990. Halleluja!

Und doch hatte zu einem erneuten ManU-Erlebnis nicht viel gefehlt. Bis zur 90. Minute war dieser erstaunlich lebhafte FC Bayern Italiens gefeierter Über-Mannschaft (sieben Spiele, sieben Siege) in – wie es so schön heißt – allen Belangen überlegen. Die hoch motivierten Deisler (erster Europapokaltreffer, freundlich assistiert vom Buffon-Vertreter Abbiati) und Demichelis (drittes Saisontor) hatten den Turinern in sechs Minuten so viel Gegentore beschert wie die italienische Konkurrenz in sieben kompletten Ligaspielen. Doch in letzter Minute verursachte der in beide Spielrichtungen total verunsicherte Schweinsteiger noch einen überflüssigen Eckball, an dessen Ende der erste Gegentreffer in der neuen Arena stand: Ibrahimovic war schuld. Der vierte Unparteiische zeigte eine Minute Nachspielzeit an, Sekunden später lag der Ball vor dem Freistoßschützen Nedved, nur zwanzig Meter vom Bayern-Tor entfernt. Kahn boxte das anfliegende Geschoss aus der Gefahrenzone, bevor auch dieses Spiel wieder das übliche Juve-Dusel-Ende gefunden hätte.

Schwarm der Schwärmer

Danach brach ein gewaltiger Orkan an Lobpreisungen über dem Tabellenzweiten der Bundesliga hernieder. TV-Experte Ottmar Hitzfeld: „Der FC Bayern hat den deutschen Fußball gerettet.“ Kollege Lothar Matthäus: „Das ist das, was der deutsche Fußball braucht.“ Karl-Heinz Rummenigge hatte das beste Bayern-Spiel seit dem Gewinn der Champions League im Jahr 2001 gesehen, Uli Hoeneß schwärmte von einem „überragenden Spiel“ gegen eine Supermannschaft: „Ich glaube nicht, dass es in Europa viel bessere Teams gibt als Juventus Turin.“ So. Die unmittelbar Beteiligten sahen die Sache etwas nüchterner. Käpt’n Kahn sprach von „gedämpfter Freude“, wirkte dabei aber im Vergleich zu seinem Trainer geradezu euphorisch – ein Zustand, dessen öffentliche Kundgebung Felix Magath tatsächlich wesensfremd ist.

Was ihm denn heute gefallen habe, wurde der Bayern-Coach nach der hin- und mitreißenden Partie, der fraglos besten Saisonleistung seiner Mannschaft, gefragt. „Was mir heute gefallen hat? Hm. Da muss ich mal überlegen.“ Pause. Einundzwanzig, zweiundzwanzig. Ein Ungeduldiger stellt schon die nächste Frage, Magath unterbrach ihn: „Ich bin noch am Überlegen.“ Noch mal Pause. Schaut auf einen Bildschirm, auf dem die Highlights des Spiels laufen, und sagt: „Die Trikots, die haben mir heute gut gefallen.“ Ein Schelm, dieser Magath. Doch er sagt das natürlich nicht, um sich einen Spaß zu machen. Seine Botschaft ist: Das war heute nix Besonderes. Wir sind so gut. Wir waren auch letztes Jahr schon gut, als wir gegen Juve zweimal 0:1 verloren haben. Und: Wir können und müssen noch viel tun. Im O-Ton klingt das dann so: „Wir müssen in der Chancenverwertung besser werden, sonst wird es noch schwierig in der Champions League. Wir wollen nicht wie im letzten Jahr als Zweiter, sondern als Erster ins Achtelfinale, um im zweiten Spiel zu Hause antreten zu können.“

Schon in zwei Wochen reisen die Bayern zum Rückspiel ins Stadion delle Alpi. Es wird kalt sein, die Bayern werden wohl wieder die Trikots mit den langen Ärmeln tragen, und vielleicht wird Del Piero sein 101. Europapokalspiel machen. Und das mit den Handschuhen, das sollte er sich noch mal überlegen.