Wir können auch anders

Die ehedem uncoole Steckzigarette erfreut sich zunehmender Beliebtheit. Der Tabaksteuererhöhung sei Dank: Die findigen deutschen Raucher beweisen eine geradezu vorbildliche Flexibilität

VON MARTIN REICHERT

Am 1. September dieses Jahres zündete die dritte und letzte Stufe der Tabaksteuererhöhung. Seitdem flammen allerdings nicht signifikant weniger Feuerzeuge auf, sie entzünden nur Rauchwaren von anderer Beschaffenheit: Wie das Statistische Bundesamt gestern in Wiesbaden mitteilte, wurden im dritten Quartal 2005 zwar rund elf Prozent weniger Zigaretten abgesetzt als im Frühjahr, gleichzeitig jedoch stieg die verkaufte Menge an so genanntem Feinschnitt um fast 44 Prozent an. Der Verband der deutschen Rauchtabakindustrie enthüllt ergänzend die wahre Rauch-Kriegsgewinnlerin: Es handelt sich um die Steckzigarette, vorportionierten Feinschnitttabak also, die im Vergleich zum Vorjahreszeitraum mit einem Plus von 57,2 Prozent weitere Marktanteile gewinnen konnte, während der klassische lose Tabak zum Drehen oder Stopfen einen Absatzrückgang von Minus 1,9 Prozent verzeichnete.

Der neue Trampelpfad

Freie Bürger, die sich das Rauchen weder durch moralischen noch fiskalischen Aktionismus nehmen lassen wollen, suchen nach neuen Wegen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Der aktuelle Trampelpfad umgeht die höchstbesteuerte Filterzigarette und lässt auch die Selbstgedrehte links liegen – vorerst. Des Drehens nicht Mächtige greifen zum zwar umständlichen aber weniger Handfertigkeit erfordernden „Stecken“: Man nehme einen Rucksack, kaufe Zigarettenhülsen, vorportionierten, gerollten Feinschnitt und ein obskures Gerät, mit dem man die einzelnen Bauteile zu Hause am Küchentisch zusammensetzt. Diese Eigenleistung ist ebenso entscheidend, um in den Genuss des Steuervorteils zu kommen, wie unelegant und lästig – an den „Steckis“ klebte bislang ein Geschmack von sozialem Abstieg: Der groteske Aufwand verwies zu sehr auf materielle Not, während die Renaissance der Filterzigarette ein Anknüpfen an die Bohème- und Politszene der Siebzigerjahre ermöglichte. Wer jedoch aus finanziellen Erwägungen von der bequemen Exgeliebten Filterzigarette auf Selbstgedrehte umgestiegen ist, kann auf einen Gewinn an Genuss verweisen, der Tenor: Selbstgedrehte schmecken einfach besser, erdiger, authentischer. In Norwegen etwa wird es längst nicht mehr als schockierend empfunden, wenn im Restaurant eine vornehm gewandete Dame nach dem Essen Tabakbeutel und Blättchen auf den Tisch packt, denn eine Schachtel Filterzigaretten kostet dort zehn Euro: Wer bläst schon Juwelen durch die Luft, anstatt sie sich um den Hals zu hängen.

Der flächendeckende Durchbruch der Steckzigarette ist auch aus anderen Gründen eher unwahrscheinlich. Vor dem Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wird gerade eine diesbezügliche Vertragsverletzungsverhandlung geführt, die sich mit der in Deutschland geltenden Steuerbegünstigung der Steckzigarette beschäftigt – der Generalanwalt hat bereits durchblicken lassen, dass er eine normale Besteuerung der Steckzigarette für geboten hält, es gilt als wahrscheinlich, dass sich der zuständige Richter dieser Auffassung anschließen wird. Die Steckzigarette, bislang die einzige legale Alternative zu (beliebtem) Auslandskauf, (zunehmendem) Schmuggel und (gesundheitsförderndem) Aufhören, würde damit schlicht und einfach überflüssig und Deutschland zu einem Land der Dreher und Stopfer.

„Du bist Deutschland“ – der Raucher nimmt es sich zu Herzen und beweist Flexibilität unter geänderten Rahmenbedingungen, inklusive der Bereitschaft zum Erlernen von neuen Techniken. Und das auch noch ganz ohne Jammern: Statt sich über vollgekrümelte Schreibtische und gelbe Finger zu beklagen, erfreut er sich am unparfümierten, reinen Tabakgenuss. Das Nachsehen haben längerfristig die potenziellen Profiteure der Tabaksteuererhöhung wie Mütter, deren Mutterschaftsgeld über diese Zusatzeinnahmen finanziert werden soll – werdenden und etablierten Müttern sei also angeraten, sich in ihrem Rauchhass in Zukunft auf Raucher von Selbstgedrehten zu beschränken, schließlich gehören Filterraucher, wenn auch unfreiwillig, zu ihren Support-Groups.

Es geht auch ganz anders

Wenn die Heizöl- und Gaspreise steigen, zieht man einen Pullover an und sagt, dies sei besser für die Schleimhäute und eigentlich ganz gemütlich. Wer sich ein Auto bei den steigenden Benzinpreisen nicht mehr leisten kann und den Erwerb eines Bahntickets als zunehmend unerschwinglich empfindet, weicht auf die boomenden Mitfahrzentralen aus und findet es irgendwie ganz amüsant, mit wildfremden Menschen in einem Faraday’schen Käfig zu hocken – früher im Bahnabteil ist man sich schließlich auch schon mal näher gekommen. Nein, so schnell möchte man nicht von seinem hohen Ross herunter: Reisen, Rauchen und Genießen unter erschwerten Bedingungen erfordert eben Optimismus und guten Willen. Es gilt die Devise: Es geht so, aber es geht auch anders.