Nichtwahl erlaubt

Kein Skandal: Die Freiheit des Gewissens ist wichtiger als parlamentarische Zwänge

Wenn Abgeordnete Bisky nicht wählen wollen, ist das allein ihre Sache

Ein Eklat habe stattgefunden im Bundestag, weil Lothar Bisky nicht zum Vizepräsidenten gewählt wurde. Eklat heißt, genau besehen, ein Aufsehen erregendes Ereignis, ein Skandal. Gut, es gab wegen der Ablehnung Biskys viel Getöse und Krachen, wie der französische Ursprung des éclat heißt. Aber ein Skandal ist es eben überhaupt nicht, wenn Abgeordnete so entscheiden: Nein, diesen Mann wollen wir nicht haben als Vertreter des ganzen Bundestages. Im Gegenteil.

Es ist das originäre Recht der Versammlung von Abgeordneten, in der konstituierenden Sitzung darüber zu befinden, wer ihr überparteilicher Vertreter sein soll. Wer dieses Recht einzwängen möchte in Regularien oder Absprachen, der kann den Artikel 38 des Grundgesetzes über freie Wahlen gleich einstampfen. Denn die Wahl, auch eines Stellvertreters des zweiten Mannes, der zweiten Frau im Staat beruht darauf, dass jeder einzelne Volksvertreter seine Freiheit nutzen kann. Und das ist: die Gewissensfreiheit.

Worin liegt eigentlich der vermeintliche Eklat? Dass der Bundestag der Linkspartei einen Sitz im Präsidium des Hohen Hauses verwehren wolle. So hört man es zwar, aber das ist Unfug. Niemand bestreitet der Linkspartei diesen Platz, weder inner- noch außerhalb des Parlaments. Obendrein ist es doch so, dass der neue Bundestagspräsident, Norbert Lammert, gar einen unüblichen dritten Wahlgang anberaumt hat, um der PDS den Platz im Präsidium zu sichern.

Lothar Bisky ist ein ehrenwerter Mann, ein echter Okay-Typ. Daran besteht für mich kein Zweifel. Daraus freilich ist keine Pflicht oder gar ein Zwang für andere ableitbar, ihn zum Vizepräsidenten zu wählen. Wenn viele Abgeordnete zu dem Schluss kommen, ihm ihre Stimme nicht geben zu wollen, dann ist das allein ihre Sache. Und es muss auch die ihre bleiben. Welche höhere Instanz sollte ihnen ihre Entscheidung abnehmen? Der Fraktionszwang? Das wäre schlimm. Niemand kann doch wollen, dass die Fraktionschefs nun auch noch die letzten freien Entscheidungen des Hauses an sich reißen. Eine politisch-moralische Verpflichtung? Gibt es nicht. Jeder Abgeordnete muss für sich selbst abwägen. Da kann übrigens vieles hineinspielen. Stasivorwürfe – und seien sie ungeklärt – genau wie die geschmäcklerische Frage, ob man unbedingt einen Parteivorsitzenden zum überparteilichen Sachwalter aller Volksvertreter vorschlagen sollte.

Das unangenehme am Fall Bisky ist zweierlei: Zum einen trifft es eine, wie mir scheint, untadelige Person. Zum anderen wird er ausgerechnet von links aufgeladen mit autoritären Sehnsüchten und Verschwörungstheorien. Das tut dem Parlament nicht gut, und es steht der Linken nicht gut an. Sie ist es doch, die – wie sie betont – die strukturelle Mehrheit im Haus innehat. Warum braucht sie dann den Appell an höhere Kräfte, die der schlimmen Ungerechtigkeit in Sachen Bisky abhelfen sollten? Wenn der Abgeordnete nicht will, will er eben nicht. So ist das. CHRISTIAN FÜLLER

Fotohinweis: Christian Füller ist seit 1997 Redakteur im Inlandsressort der taz.