Wie viel Staat geht?

GRUNDGESETZ Auch die Grünen wollen im Fall Brender vors BVerfG. Ob eine Klage Erfolg hätte, ist unklar

Das eigentliche Problem der ZDF-Gremien ist, dass auch die Vertreter der gesellschaftlichen Interessen meist den „Freundeskreisen“ von Union oder SPD angehören

Die Grünen nehmen den Fall des geschassten ZDF-Chefredakteurs Nikolaus Brender zum Anlass, nach Karlsruhe zu gehen: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) solle den ZDF-Staatsvertrag korrigieren und den Staatseinfluss in den ZDF-Gremien zurückdrängen, forderten die Fraktionsvorsitzenden Renate Künast und Jürgen Trittin.

Doch an welchem Maßstab soll das BVerfG die Klage messen? In Artikel 5 des Grundgesetzes heißt es nur ganz allgemein: Die „Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk“ sei „gewährleistet“. Allerdings hat das BVerfG schon 1961 die Vorgabe präzisiert. So verbiete Artikel 5, dass der Staat eine Rundfunkanstalt „unmittelbar oder mittelbar beherrscht“. Den Vertretern des Staates dürfe in den Gremien einer Rundfunkanstalt nur „ein angemessener Anteil“ eingeräumt werden. Damals kippte Karlsruhe den Versuch von Kanzler Konrad Adenauer, ein bundeseigenes Staatsfernsehen einzurichten. Was aber ist ein „angemessener Anteil“ staatlicher Mitwirkung und wo beginnt die staatliche „Beherrschung“? Auf diese Frage musste Karlsruhe noch keine Antwort geben.

6 der 14 Mitglieder des ZDF-Verwaltungsrats, der Brenders Vertrag nicht verlängerte, sind vom Staat benannt: Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU), die Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU), Peter Müller (CDU), Kurt Beck (SPD) und Matthias Platzeck (SPD) sowie Edmund Stoiber (CSU). Unter den weiteren Mitgliedern, die vom ZDF-Fernsehrat gewählt werden, sind weitere Politiker – kein Wunder, denn auch im 77-köpfigen Fernsehrat ist der Staatseinfluss groß: 19 Vertreter wurden direkt von Bund und Ländern benannt, weitere 12 Personen von den Bundestagsparteien. Die 37 Vertreter gesellschaftlicher Interessen werden von den Landesregierungen ausgewählt. Nur die Religionsgesellschaften besetzen ihre 5 Sitze selbst.

Ist die aktuelle Zusammensetzung der ZDF-Gremien aber deswegen verfassungswidrig? Dagegen spricht, dass es den „Staat“ als Block mit einheitlichen Zielen gar nicht gibt. Schließlich stehen zum Beispiel die Staatsvertreter im ZDF-Verwaltungsrat für fünf verschiedene Bundesländer sowie den Bund – mit jeweils eigenen Interessen. Auch die Parteiverteter haben kein gemeinsames Ziel, sondern achten nicht zuletzt darauf, dass die jeweilige Konkurrenz nicht zu viel Einfluss bekommt. Das eigentliche Problem der ZDF-Gremien ist wohl eher, dass sich auch die Vertreter der gesellschaftlichen Interessen, vom Handwerk bis zu den Naturschützern, meist den „Freundeskreisen“ von Union oder SPD anschließen. Dies zeigt aber auch, wie schwierig es ist, den Einfluss von Staat und Parteien objektiv zu bestimmen und zu begrenzen. Möglicherweise wird sich Karlsruhe bei der Prüfung des ZDF-Vertrags deshalb eher zurückhalten.

Noch ist auch nicht sicher, ob eine Grünen-Klage überhaupt eingereicht werden kann. Die Grünen haben zwar Glück, dass zufällig am 1. Dezember eine Grundgesetzänderung in Kraft tritt, die die Hürde für eine Normenkontrolle absenkt – damit ist nicht mehr ein Drittel, sondern nur noch ein Viertel der Parlamentarier erforderlich, also 156 Abgeordnete. Doch hat bisher nur die Linksfraktion (76 Sitze) Interesse am Vorstoß der Grünen (68 Sitze) erkennen lassen. Für eine Klage bräuchte man noch mindestens 12 Unterstützer aus den Reihen von FDP und SPD.

Allerdings riet Kurt Beck laut Spiegel von einer Verfassungsklage und einer Änderung der ZDF-Gremien ab. Wenn man den Einfluss der Politik zurückdränge, so Beck, sei niemand mehr identifizierbar und „niemand würde mehr die Verantwortung übernehmen“.

CHRISTIAN RATH