Die Stille danach ist am lautesten

MUSIK VON HEUTE Die Klangwerktage vermittelten in Hamburg erfolgreich zeitgenössische Musik

Gesprochen wurde über Musik, Architektur, das Verbindende und die Leere

Musik hat eine besondere Eigenschaft: Ein Konzert beginnt schon vor dem ersten Ton, man erwartet ihn, hört ihn vor. Und klingt er schließlich aus, kann man ihm nachhören, dem letzten Ton. Was bleibt, wenn er schwindet, ist eine Leere, die aber nicht leise ist. Das sagt Elmar Lampson, Präsident der Hochschule für Musik in Hamburg.

Raum, um Musik vor- und nachzuhören, boten vergangene Woche zum vierten Mal die „Klangwerktage – Festival für zeitgenössische Musik“ in der Hansestadt. Eine multimediale Raumklanginstallation von Sascha Lino Lemke machte den Auftakt zu 18 weiteren Veranstaltungen: Lemke hatte eine ganze Fabrikhalle mit einem Gebilde aus ineinander verschlungenen, beigefarbenen Plastikröhren ausgefüllt, die sich organisch kumulierten, aufwarfen und wieder vereinzelten. Auf einzelne Klanginseln inmitten dieser Struktur verteilt spielte das Ensemble Resonanz. Die Uraufführung der „Troposphères“ – kammermusikalische Computermusik für Streicher – wirkte sowohl in der Musik als auch in der Architektur netzartig, raumgreifend und zugleich filigran.

Eine Schnittstelle zu anderen Künsten zu finden ist die grundlegende Idee der Klangwerktage. In diesem Jahr war es die Architektur, speziell die Architektur der Leere. „Void I“ und „Void II“ lauten so auch die Titel zweier Stücke, mit denen das Festival am vergangenen Freitag endete. Nikolaus Brass komponierte das erste direkt nach einem Besuch des Jüdischen Museums in Berlin. Ebendieses wurde von Daniel Libeskind gebaut „um der Leere der Schoa einen Raum zu geben, zerrissen und zerfurcht“.

Christiane Leiste, seit diesem Jahr Leiterin der Klangwerktage, war zum Abschluss ein großer Wurf gelungen: Libeskind kam selbst zu einer hochinteressanten Gesprächsrunde mit Nikolaus Brass angereist. Denn bevor er seinen jetzigen Beruf ausübte, hatte der Architekt in Israel Musik studiert. Gesprochen wurde über Musik, Architektur, das Verbindende und die Leere als Hinterlassenschaft der Vernichtung.

Doch während die Architektur Leere ein-, ummauern kann, bedeutet Leere zu komponieren ein Paradoxon. Bereits im Barock wurde versucht, sie durch abbildende Art darzustellen: Durch das Ausklingenlassen von Tönen oder durch Repetition einzelner Teile. Oder auch, indem man innerhalb des musikalischen Kontinuums eine Stimme sehr hoch und die andere sehr tief geführt wurde. So entsteht ein Zwischenraum, in dem sich der Theorie nach nichts befindet – eine Annäherung an die Leere. Brass hat sich dieser Methoden bedient, um die „Voids“ des Museums nachzuempfinden. Entstanden sei ein „individueller und kollektiver Resonanzraum“, erklärt der Komponist, Ersterer für das Klavier, Letzterer für das Orchesterstück.

„Void I“, gespielt von Florian Hoelscher, ließ durch Wiederholungen einzelner Tonfolgen und Cluster, die mit Decrescendos abwechselten, tatsächlich die Bilder von Leere im Kopf entstehen, die das Museum eröffnet – was aber auch am Thema der vorangegangenen Gesprächsrunde gelegen haben mochte. Doch statt die Leere nachspüren zu lassen, ging der Pianist allzu schnell in das Impromptu Nr. 4 von Schubert über. Wie banal dieses romantische Stück darauf wirkte, war allerdings überraschend.

„Void II“ spielten die Hamburger Symphoniker nicht zum ersten Mal. Dieses Orchesterstück umschließt „Void I“ wie einen Kern, mit weiteren Wiederholungen, Zerrissenheit und Raum für die Annäherung an die Leere. Das oboengleiche Saxofon sorgte für einen Hauch von Klezmer, Steeldrums und Glasharfe für irritierende Töne. Doch die Stille danach war am lautesten.

Obwohl der ungarische Komponist György Kurtág krankheitsbedingt abgesagt hatte, kamen insgesamt 2.300 Besucher – für die Klangwerktage ein Erfolg. Was wohl auch an der Idee der Reisebegleiter lag: Menschen aus anderen Kunstrichtungen führten das Publikum in die einzelnen Konzerte ein. Darunter der iranische Regisseur und Drehbuchautor Ali Samadi Ahadi („Salami Aleikum“), Christiane Pohle, Regisseurin beim Thalia Theater, oder Autor Wolf Lepenies. Heraus kamen sehr unterschiedliche Konzepte der Vermittlung, teils komödiantisch, teils einführend, teils dozierend. Aber immer zeigte sich eine ganz eigene Sichtweise auf die Musik. Was jetzt noch fehle, sei eine andere Art der Konzeption, darin waren sich fast alle einig: raus aus den dunklen, manchmal vor Ehrfurcht fast totenstarren Konzerträumen in eine lebendige Form, ohne die Avantgarde deshalb aufzugeben. So weit der zeitgenössischen Musik hinterher wie heute seien die Hörer vor 100 Jahren nicht gewesen, befürchten die Macher. MOIRA LENZ