„Dutzende Turnhallen sind geschlossen – wegen Baufällig-keit. Dagegen protestiert kaum jemand“

Das bleibt von der Woche Die Berliner Stadtwerke sind kein normal funktionierender Energieerzeuger, im Mai werden die ersten sieben mit Flüchtlingen belegten Hallen wieder geräumt, ein AfD-Vorstandsmitglied aus Brandenburg wird zum neuen Leitenden Oberstaatsanwalt in Berlin befördert, und das Vorzeigeprojekt Refugee Club Impulse muss sich mit Antisemitismusvorwürfen auseinandersetzen

Los jetzt, umsteigen ist leicht!

Viel zu kleine Stadtwerke

Für große Werbung hat das Miniunternehmen vorerst zu wenig Geld

Kommunale Unternehmen können wirtschaften. Das beweisen die Wasserbetriebe, die am Mittwoch eine ordentliche Bilanz für 2015 vorgelegt haben – der leichte Rückgang beim Gewinn rührt vor allem daher, dass das Unternehmen nach dem Rückkauf durch das Land wie versprochen die Gebühren für Trink- und Abwasser gesenkt hat. Was will man mehr?

Zum Beispiel einen funktionierenden kommunalen Energieerzeuger. Die Berliner Stadtwerke, 100-prozentige Tocher der Wasserbetriebe – Markteintritt Herbst 2015 –, sind es nicht. Dabei kann jeder ihr Kunde werden, kann grünen Strom beziehen, günstiger als Atomstrom von Vattenfall, und das Geld bleibt in der Stadt, vereinfacht gesagt. Aber bislang sind nur 1.100 Haushalte unter Vertrag – ein Treppenwitz der Branche.

Was bekanntlich vor allem daran liegt, dass die CDU den Stadtwerken ein Stromhandelsverbot ans Bein gebunden hat. Sie dürfen immer nur so viel verkaufen, wie sie tatsächlich erzeugen. Kein anderes Energieunternehmen muss sich das bieten lassen.

Aber halt: Durch Ankauf von Windparkbeteiligungen erzeugen die Stadtwerke inzwischen schon Strom für 10.000 Haushalte. Warum fehlen dann 9.000 Kunden? Die Antwort: Für große Werbung habe das Miniunternehmen vorerst zu wenig Geld. Vielleicht nimmt man sich selbst auch nicht so richtig ernst.

In Berlin scheiterte 2013 um ein Haar der Energie-Volksentscheid, der handlungsfähige Stadtwerke forderte, etwa solche wie Hamburg Energie, die rund 100.000 Kunden mit Ökostrom beliefern. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sagt: Stadtwerke bringen den klimafreundlichen Umbau der Energieversorgung voran. Stadtwerke können Energieeffizienzpotenziale besser ausschöpfen, die Nutzung erneuerbarer Energien forcieren und den Ausbau dezentraler Kraft-Wärme-Kopplung vorantreiben. Und wirtschaften – siehe oben – können sie auch.

Deshalb: Wenn Sie am Wochenende nichts vorhaben, steigen Sie um. Und wenn Sie was vorhaben, auch. Es dauert nur ein paar Minuten. Okay?

Claudius Prößer

Die Suche nach dem Wendepunkt

Flüchtlinge in Turnhallen

Denn plötzlich änderte sich im (Schul)alltag der BerlinerInnen etwas

Zu erkennen, wann eine Entwicklung zu einem Problem werden könnte, ist eine der wichtigsten Fähigkeiten von Politikern. Allzu oft sind es dabei gar nicht die ganz großen Herausforderungen, an denen sich zu viele Regierte stören, sondern kleine, oftmals nur symbolische Details. Und so lässt sich im Rückblick auf das vergangene Jahr die These aufstellen, dass die BerlinerInnen bereitwillig noch viele Tausend Flüchtlinge mehr aufnehmen würden – solange diese nur nicht in Turnhallen unterkommen müssen.

Gut 50 der mehr als 1.000 Hallen in der Stadt hatte der Senat gegen Jahresende als Notunterkünfte für Geflüchtete beschlagnahmt und dort mehr als 10.000 Menschen einquartiert. Obwohl es sich mit rund fünf Prozent tatsächlich nur um einen kleinen Teil aller Hallen handelt, beschwerten sich, wie es aus Senatskreisen heißt, besonders viele BerlinerInnen darüber, dass vereinzelt Schul- und Vereinssportstunden ausfallen mussten.

Das hat nichts damit zu tun, dass die HauptstädterInnen besonders sportlich sein wollen; sondern damit, dass viele von ihnen durch diese im Rückblick erstaunlich unpopuläre Maßnahme erstmals überhaupt mit der Flüchtlingsthematik direkt in Kontakt kamen. Denn plötzlich änderte sich auch in ihrem (Schul)alltag etwas.

So kam es nicht überraschend, dass kurz vor Beginn der heißen Wahlkampfphase der für die Versorgung von Flüchtlingen zuständige Sozialsenator am Dienstag ankündigte, dass im Mai die ersten sieben belegten Hallen wieder geräumt werden. Bis Ende des Jahres soll kein Flüchtling mehr in einer Turnhalle wohnen müssen.

Der Senat erhofft sich davon ebenfalls einen symbolischen Effekt. Zwar gelingt es nicht, wie erhofft und zu Jahresanfang vom Regierenden Bürgermeister angekündigt, bis Sommer alle Hallen frei zu bekommen. Aber immerhin will der viel kritisierte Sozialsenator zeigen: Seht her, wir tun etwas!

Das könnte sogar schon ausreichen, um das Thema zu entschärfen und damit etwa der AfD als Argument zu entziehen. Zwar sind die Hallen noch nicht gleich wieder verfügbar; sie müssen erst saniert werden, und keiner weiß, wie lange das dauert. Aber in Berlin sind sowieso mehrere Dutzend Turnhallen geschlossen – wegen Baufälligkeit. Und dagegen protestiert offenbar kaum jemand mehr. Bert Schulz

Das rechte Auge von Justizia

AfD-VORSTAND BEFÖRDERT

Wie glaubwürdig ist es, dass man nichts von seiner Parteizugehörigkeit wusste?

Völlig zu Recht eines der großen Aufregerthemen in dieser Woche: Am Dienstag wurde bekannt, dass ein AfD-Vorstandsmitglied aus Brandenburg zum neuen Leitenden Oberstaatsanwalt in Berlin befördert wurde. Roman Reusch, der öffentlich dafür plädiert, hier geborene kriminelle Jugendliche mit Migrationshintergrund abzuschieben, ist nun zuständig für die Abteilung „Auslieferung ausländischer Straftäter“. Kein Wunder, dass die Vereinigung der Strafverteidiger das Vertrauen in die Neutralität staatsanwaltschaftlicher Entscheidungen beschädigt sieht. Wer kann ernsthaft glauben, dass der Anhänger einer Partei, die in einem fort gegen Flüchtlinge und Muslime agitiert, willens und in der Lage ist, Verdächtige vorurteilsfrei zu behandeln, also ohne Ansehen von Pass und Hautfarbe?

Verteidigt wird die Entscheidung mit dem Beamtenrecht. Man habe von der AfD-Mitgliedschaft gar nichts gewusst, heißt es aus Justizkreisen, das hätte aber auch nichts geändert, die AfD sei ja eine legale Partei, und Beamte dürften sich politisch engagieren, wenn sie das „Mäßigungsgebot“ beachteten.

Eine derart legalistische Argumentation steht freilich auf wackeligen Füßen. Wie mäßigend und zurückhaltend ist denn ein Mann, der jugendliche Straftäter zu Erziehungszwecken in U-Haft stecken will – was das Gesetz gar nicht zulässt. Und steht es nicht derzeit gerade infrage, ob die AfD wirklich auf dem Boden des Grundgesetzes und der freiheitlich-­demokratischen Grundordnung steht? Nicht nur Äußerungen wie die vom Schießbefehl gegen Flüchtlinge lassen zweifeln. Und SPD-Chef Sigmar Gabriel steht auch nicht allein mit seiner Forderung, die Partei vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Das letzte Wort, wie gesetzes- und verfassungstreu diese Partei ist, ist mit Sicherheit noch nicht gesprochen.

So zeugt es zumindest von politischer Instinktlosigkeit, einen rechten Bock wie Reusch zum Gärtner ausgerechnet auf dem Feld der „ausländischen Straftäter“ zu machen. Und vielleicht ist es sogar mehr: Denn wie glaubwürdig ist es angesichts der Bekanntheit von Reusch, der wegen seiner Äußerungen schon einmal versetzt wurde, dass man nichts von seiner Parteizugehörigkeit wusste? Wollte man da womöglich im Wahljahr ein Zeichen setzen Richtung rechte Protestwähler – nach dem Motto: Seht her, wir tun doch was?

Fest steht: Wir leben in einem Land, in dem Lehrerinnen mit Kopftuch als Gefahr für die weltanschauliche Neutralität des Staates gelten – und Staatsanwälte mit dezidiert rechter Gesinnung wegen ihrer „hervorragenden Arbeit“ gefördert werden. Der Zeitgeist, der daraus spricht, gibt Anlass zur Sorge. Susanne Memarnia

Ein äußerst heikles Thema

Antisemitismusvorwurf

Der Senat sollte den Refugee Club Impulse jetzt nicht einfach fallen lassen

Eigentlich ist es ein Vorzeigeprojekt: Flüchtlinge und hier geborene Menschen spielen im Refugee Club Impulse aus Moa­bit gemeinsam Theater, verhandeln in ihren Stücken gesellschaftliche Fragen rund um die Themen Flucht und Ankommen und tragen gleichzeitig zu einer höheren Präsenz geflüchteter Menschen im Kulturbetrieb bei. Das Ganze nicht als Charityprojekt deutscher TheatermacherInnen, sondern als basisdemokratisches Kollektiv.

Doch dann das: Mitte dieser Woche wird klar, dass sowohl die Nominierung des Projekts für einen Sonderpreis für kulturelle Arbeit mit Flüchtlingen als auch ein Antrag auf 100.000 Euro öffentliche Fördergelder Geschichte sind. Der Grund: Nach Recherchen des American Jewish Committee sollen die künstlerische sowie die pädagogische Leiterin des Projekts, Nadia und Maryam Grassmann, seit Jahren eine aktive Rolle auf der jährlich stattfindenden antisemitischen Al-Kuds-Demons­tration spielen, die vom Vater der beiden Schwestern organisiert wird.

Jetzt ist die Aufregung groß: Während sich der Senat beeilt zu betonen, dass man unter keinen Umständen Gelder an Gruppen oder Personen geben werde, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, fühlt sich das Projekt missverstanden und in Sippenhaft genommen. Denn dass das antiisraelische Engagement der Grassmann-Schwestern auch deren Arbeit beeinflussen würde, bestreitet der Refugee Club Impulse.

Das Thema ist heikel. Dass jetzt ausgerechnet eines der wenigen tatsächlich selbst organisierten Flüchtlingsprojekte im Kulturbereich unter Antisemitismusverdacht steht, hat einen schlechten Beigeschmack ebenso wie der Umstand, dass die Debatte bisher ohne die Projektbeteiligten läuft. Problematisch ist aber auch, das Engagement der Grassmann-Schwestern jetzt als Privatangelegenheit darzustellen: Wer an einer so unumstritten antisemitischen Veranstaltung teilnimmt und gleichzeitig in einem künstlerisch-pädagogischen Projekt mit unter anderem palästinensischen Flüchtlingen arbeitet, muss sich die Frage gefallen lassen, ob das eine mit dem anderen zusammenhängt.

Einen Gefallen getan haben die beiden Schwestern dem einstigen Vorzeigeprojekt so ganz sicher nicht. Trotzdem gilt: Der Senat sollte das Projekt jetzt nicht einfach fallen lassen – wenn es dem Refugee Club Impulse gelingt, sich glaubhaft von Antisemitismus zu distanzieren, spricht nichts dagegen, ihn weiter zu fördern.

Malene Gürgen

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