Kampf dem Essigsyndrom

Film Das Arsenal verfügt in seinem Archiv über einen enormen Schatz an Filmen. Jetzt kommt das bislang über ganz Berlin zerstreute Filmerbe in neuen Räume im Weddinger Kulturquartier silent green zusammen

Die ein bisschen morbide Ruhe, die die Anlage ausstrahlt, kann dem Filmeschauen nur zuträglich sein Foto: Wolfgang Borrs

von Detlef Kuhlbrodt

Es ist Dienstagnachmittag im silent green. Die Sonne scheint auf das ehemalige Krematorium im Wedding. Das Silent-green-Kulturquartier ist ein neuer Veranstaltungsort. Das Musicboard Berlin, das Label !K7 Records, die in Gründung befindliche Harun-Farocki-Stiftung und Sav­vy Contemporary – Plattform für Kunst aus afrikanischer Perspektive sind hier beheimatet. Jetzt ist das öffentlich zugängliche Filmarchiv des Arsenal – Institut für Film und Videokunst e. V. eingezogen.

Zum Rundgang durch das Archiv werden die Pressevertreter von Stefanie Schulte-Strathaus vom Arsenal begrüßt. Sie erzählt die Geschichte des Filmarchivs; von dem ersten Film, „Come back Africa“, der 1963 eher zufällig im Hängeboden von Ulrich und Erika Gregor, den Gründern des Arsenals, landete, weil ein Mitarbeiter des Regisseurs Lionel Rogosins, Jimmy Vaughan, den Film bei den „Freunden der Deutschen Kinemathek“ deponierte; von den kurzen und langen Filmen lateinamerikanischer Filmemacher, die in der Sammlung Asyl und Schutz vor den damaligen Diktaturen in Argentinien und Chile fanden; wie das Archiv seit der Gründung des Internationalen Forums (1971) jedes Jahr um 30 bis 40 Filme wuchs und die Filme an unterschiedlichen Orten, in der Wohnung von Alf Bold, einem ehemaligem Programmleiter des Arsenals, und in Nachbarkellern der Welserstraße, der ersten Heimat des Arsenals und zuletzt über dem Arsenal 2 und in Spandau lagerten.

Das Arsenal sammelt die mittlerweile 8.000 Filme nicht wie Dagobert Duck, um darin zu baden; es geht darum, die Filme zu verleihen

Es ist nicht so, dass das Arsenal die mittlerweile 8.000 Filme wie Dagobert Duck sammelt, damit die Arsenal-Mitarbeiter darin baden können; vor allem geht es darum, die Filme in Umlauf zu bringen, sie zu verleihen. Das Archiv ist sehr wichtig, denn höchstens 5 Prozent des analogen Weltfilmkulturerbes sind auch digitalisiert. Von einigen Filmen gibt es nur eine einzige Kopie, die im Arsenal-Archiv überlebt hat. 39 Filme wurden digital restauriert. Das Bundeskulturministerium unterstützt leider nur die Aufbewahrung deutscher Filme. Das Außenministerium hilft aber auch. Jede Filmkopie erzählt nicht nur von der Zeit der Filmentstehung, sondern auch von der Zeit seiner Betrachtung. Ganz abgesehen davon, dass die Filmarchivierung auch im Kopf jedes Zuschauers stattfinden kann.

Schulte-Strathaus erzählt noch vom Living-Archive-Projekt, bei dem 40 Kulturpersonen im Arsenal-Archiv recherchieren und Projekte entwickeln konnten. Der derzeitige Stipendiat ist Mohammed Gawad aus Kairo. Er hat die Filme, die er angeschaut hat, mit einem blauen Faden verbunden.

Nachdem Jörg Heitmann, der Geschäftsführer des silent green, alles Wissenswerte zur Geschichte des Krematoriums und Entstehung des silent green erklärt hat, geht es durch verschiedene Keller, in denen die Filmrollen in Regalen lagern. Ehrfürchtig steht man zum Beispiel neben den 70 Kilo schweren Filmrollen von Bela Tarrs „Satantango“, lächelt über den witzigen Titel „Das doppelte Lottchen“ und bestaunt hölzerne Filmspulenschränke.

Harrt der Sichtung Foto: W. Borrs

Schulte-Strathaus berichtet von dem ansteckenden „Essigsyndrom“. Filme, die davon befallen sind, können nicht mehr geheilt werden und müssen in Quarantäne, da das Essigsyndrom ansteckend ist und auch ganz schön stinkt. Schneidetische und Filmwaschmaschinen säumen den Weg. Die Sichtung am Schneidetisch ist wesentlich schonender als die Vorführung mit einem Projektor.

Erst abends verlassen wir das Archiv wieder, als die öffentliche Einweihungsveranstaltung beginnt. Viele bekannte Personen, Freunde des Arsenal, die Gründer Erika und Ulrich Gregor natürlich, zahlreiche Filmemacher wie Dagmar Brundert, Philipp Scheffer und der berühmte japanische Regisseur Sabu, sind gekommen. Leitmotiv der Rede von Stefanie Schulte-Strathaus sind gefühlte 100.000 Kilogramm Film, die hier lagern. In Wirklichkeit sind es aber nur 57.502 Kilo, wie Ulrich Gregor ausgerechnet hat.

Filmarchiv des Arsenals, Gerichtstr. 35, tägl. 10–18 Uhr, Sichtungstermin vereinbaren: (030) 46 60 45 03