Schaumschläger nicht gewählt

Betr.: „Blass und deshalb Boss“, taz nord vom 19. Oktober 2005

Für die Bild-Zeitung ist Lemke der Bürgermeister der Herzen und für die taz „beliebt“, ein Mann, „der für unkonventionelle Denkansätze steht, der gewillt ist, harte Entscheidungen zu treffen“. In Wirklichkeit ist ein Mann deutlich nicht gewählt worden, der als Henning Scherfs Kronprinz galt, der für eine CDU-Bildungspolitik reinsten Wassers steht mit frühem Aussortieren der Kinder und technokratischem Gängeln der Schulen, dessen „unkonventionelle Denkansätze“ in kleinkarierter Verfolgung von Lehrerinnen mit Kopftuch besteht und in einer pädagogisch hochwertigen Kampagne gegen bauchnabelfreie Kleidungsstücke.

Die Geschichte hinter der Geschichte ist doch viel interessanter: Warum sind die größeren Schaumschläger, die jedes Journalistenherz erfreuen, nicht auch gleichzeitig automatisch die besseren Bürgermeister? Warum entwickeln sich gerade nach der Scherf-Ära Wünsche nach einem Bürgermeister, dessen Motiv mehr die Verantwortung für das Gemeinwohl ist als das geliebt zu werden?

Die These, dass die Fraktionen in den Ländern immer mehr Macht gewinnen ist wirklich kühn. Längst ist Deutschland so weit fortgeschritten auf dem Weg in den Verwaltungsstaat, dass die Entmachtung der Parlamente verfassungswidrige Ausmaße annimmt. Das Problem ist doch eher, dass ein durch die Medien über Jahre für öffentliche Gesten gefeierter Bürgermeister nicht befürchten musste, dass sich jemand für die Diskrepanz zwischen Worten und Taten interessiert. Hinter dem Artikel steht leider eine große Unkenntnis oder tiefe Verachtung gegenüber demokratischen Prozessen, die anders laufen als das Mediengeschäft. EDITH FRERICHS, Lilienthal