Wir sollten Forderungen stellen

FLÜCHTLINGE Ulrich Schulte zweifelte an linken Alternativen zur Abschottungspolitik. Bernd Pickert sah darin neues Leid für Flüchtlinge

Migrant mit seiner Tochter in Idomeni Foto: Emric/ap

Wünsche an die taz

betr.: „Geständnis eines Linken“ von Ulrich Schulte, taz vom 11. 4. 16

Herzlichen Dank für Ihren Essay. Er ist ein hübscher Kontrapunkt zum Bericht „Was vom O-Platz übrig blieb“ in der Wochenend-taz (Berlilner Lokalteil), in dem so getan wird, als könnte durch Mobilisierung der Flüchtlinge für ihre Rechte erreicht werden, dass die Bedingungen in den Unterkünften verbessert werden – als wären die Notunterkünfte mit all ihren Problemen und Nachteilen eine Folge bösen Politiker- und Verwaltungswillens oder mangelnder Proteste und nicht etwa die Folge steil angestiegener Flüchtlingszahlen.

Was ich mir von der taz wünsche: eine Diskussion darüber, welche kleinen Schritte möglich sind, um die Situation der Flüchtlinge, die schon hier sind, zu verbessern. Dazu gehört auch, denen, die als asylberechtigt anerkannt werden und Ehepartner oder Kinder haben, die nicht mit ihnen zusammen fliehen konnten, zeitnah den Nachzug der Kernfamilie zu ermöglichen, weil es die Integration erleichtert, wenn Familien gemeinsam hier leben. Das geht nur, wenn nicht alle in die städtischen Zentren wollen? Sollte nicht zumindest diskutiert werden, ob Flüchtlingen ein beschleunigter Familiennachzug angeboten werden kann mit der Maßgabe, dass die Familie dann in einen Ort geht, in dem Wohnungen frei sind und die Schulen mehr SchülerInnen verkraften können?

Es könnte in der taz auch eine Debatte darüber eröffnet werden, wie denen, die nicht als Bürgerkriegsflüchtlinge oder politisch Verfolgte Schutz erhalten können, vermittelt werden kann, dass ihre Hoffnungen auf ein besseres Leben in Deutschland derzeit illusorisch sind – was sich nur mit einem Einwanderungsgesetz ändern ließe. Wie kann von denen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, genug politischer Druck aufgebaut werden, um ein Einwanderungsgesetz zu erreichen?

Ich wünsche mir von der taz auch eine Debatte darüber, welche Maßnahmen kontraproduktiv sind. Was für einen Sinn macht es, seit 10 oder 15 Jahren mit Duldung hier lebende Familien, deren Kinder besser Deutsch als die Muttersprache ihrer Eltern sprechen, abzuschieben, um höhere Abschiebezahlen zu erreichen? Oder der kleinen Gruppe der subsidiär Geschützten den Nachzug der Kernfamilie zu entziehen? Warum dürfen Afghanen nicht mehr in die offiziellen Sprachkurse, was zu Konflikten in den Unterkünften führt, obwohl sie – wenn man die nicht mehr stattfindenden Dublinausreisen abzieht – eine hohe Anerkennungsquote haben, und Deutschkenntnisse auch für die, die zurückkehren wollen oder müssen, eine sinnvolle Qualifikation darstellen, solange deutsche SoldatInnen und EntwicklungshelferInnen in Afghanistan im Einsatz sind? Welche Folgen hätte es für alte, chronisch kranke, behinderte, traumatisierte Flüchtlinge, wenn nach drei Jahren künftig ohne Ansehen des Einzelfalls die Deutschkenntnisse zum Kriterium für den weiteren Aufenthaltsstatus werden, wie von de Maizière vorgeschlagen?

So viele Fragen, die von Linken diskutiert werden können und sollen.

UTE FINCKH-KRÄMER, MdB, Berlin

Erleichtert

betr.: „Geständnis eines Linken“, taz vom 11. 4. 16

Danke, Herr Schulte, für Ihr Geständnis! Ich denke, es wird keine Minderheit sein, die – zumindest im Stillen! – Ihre Sorge teilt und erleichtert ist, diese Gedanken in der taz zu lesen.

Bislang hat niemand der Seehofer-Kritiker sagen können, wie die Probleme langfristig gelöst werden können. Und wir dürfen – auch mit linker Gesinnung – nicht die Augen davor verschließen. (National-)Stolz und religiöse Bindung bilden ein Fundament für das Selbstbewusstsein der Menschen, die hier als Asylbewerber ankommen und zu Recht ihre Identität bewahren wollen. Wie gehen wir damit um?

JÖRG EHLERT, Lüneburg

Steht auf!

betr.: „Die Menschen zählen. Jeder einzelne“, taz vom 13. 4. 16

Danke, Bernd Pickert.

Über Fluchtursachen wird ja kaum noch reflektiert, als hätten die Industrieländer – wie Deutschland/ Europa – damit nichts zu tun. „Wir leben in einem Wohlstandsghetto“ (Kermani) – „weil du reich bist, bin ich arm“ (frei nach Brecht).

Anstatt für Merkel zu beten (Kretschmann), wenn sie gerade mit Präsidenten der Türkei, Erdoğan, Abkommen schließt, sollten wir Forderungen stellen an die kommunalen und staatlichen Stellen, Steuern einzutreiben, Infrastruktur zu verbessern, Hilfe zu gewähren, anstatt die Menschen, die, aus welcher Not auch immer, geflohen sind, in Lager zu sperren und alleinzulassen beziehungsweise zurück ins Elend zu transportieren.

Ehrenamt ist gut und notwendig, Willkommenskultur wunderbar, aber wenn die offizielle Politik sich Pegida und AfD unterwirft und staatliche Unterstützung nicht ausreichend zur Verfügung stellt, dann schaffen wir das nicht.

Also steht auf, Willkommensinitiativen, und stellt Forderungen! Dann schaffen wir das!“

JÜRGEN CRUMMENERL, Köln

Umverteilung

betr.: „Die Menschen zählen. Jeder einzelne“, taz vom 13. 4. 16

Ich stimme Bernd Pickert in seinem Essay absolut zu.

Das Gefühl der Unsicherheit, das Ulrich Schulte am Montag beschrieb, ist ein deutschlandinternes Problem. Angeheizt durch die existenziellen Ängste der Mittel- und Unterschicht, kann das Land keine Krise in dem Ausmaß bewältigen.

Die Umverteilung im eigenen Land ist jedoch der richtige Ansatz, sobald sich der Abstand zwischen Arm und Reich verringert, schwinden auch Ängste. Die Menschen und die Politik können dann stark genug sein den Hilfesuchenden Schutz zu bieten, ohne der Verführung des Rechtspopulismus zu verfallen.

Danke, Herr Schulte, für diesen spannenden Einblick in die kollektive Sorge, und danke, Herr Pickert, für den Aufbau linksorientierter Hoffnung. PAUL LOJKO

Was bin ich?

betr.: „Geständnis eines Linken“, taz vom 11. 4. 16

Dass Ulrich Schulte ein Linker ist, stand oben über dem Artikel. Links sein heißt jetzt also nicht nur Merkel gut finden, wenn sie Flüchtlinge reinlässt. Links sein heißt jetzt also auch schon Merkel gut finden, wenn sie Flüchtlinge ersaufen lässt.

Vielleicht bin ich nicht links. Bislang dachte ich das. Was bin ich denn, wenn ich Menschen immer noch nicht ertrinken lassen möchte, Herr Schulte?

JOHANN KNIGGE-BLIETSCHAU, Kiel

Buchstabensalat

betr.: Geständnis eines Linken“, taz vom 11. 4. 16

Dieser Aufmacher ist wieder mal klasse. Ernst-Jandl-Anhänger haben an diesem Buchstabensalat ihre Freude, der gleich darunter mit Eigenwerbung ausläuft (Ernst mit Scherz verbindend: Den Rest des Artikels können Sie sich schenken).

Auf Seite 3 dann des Rätsels Lösung, mit dem Bemühen des Autors, intellektuell redlich zu sein.

KLAUS WARZECHA, Wiesbaden