Musik von Menschen und Maschinen

Aus einer Musikschule entstand vor fast 30 Jahren in Lüneburg ein Institut für Elektronische Musik. Dieser Tage präsentiert sich das international renommierte Institut auf seinem jährlichen Festival für Neue Musik. Der Gründer Helmut Erdmann ist immer noch vernarrt in seine Geräte

aus Lüneburg Denis Bühler

„Synthi 100“ heißt die Maschine, an die Helmut Erdmann sein Herz verloren hat, damals 1979, zwei Jahre nach Gründung des Lüneburger EULEC, dem European Live Electronic Centre. Der Synthi 100 protzt mit tausend Blinklichtern, Reglern, Zeigern und Kabeln, die er wie Tentakel in den Raum streckt. „Ich kann ja mal was zeigen“, sagt Professor Erdmann, greift sich eine Flöte und erweckt mit einem Knopfdruck das Riesenbaby zum Leben, das jetzt leise summt. Mit Pedalen verfremdet Erdmann den Klang seines Instruments. Das schreit, spuckt, quietscht, gleicht einem Maschinegewehr eher als einer Flöte und besinnt sich dann ebenso mühelos auf lyrischere Töne. Erdmann wackelt dazu mit Kopf und Körper.

Der Mann mit den dicken Brillengläsern und der etwas gewagten Kombination aus lindgrünem Jacket und grauer Anzughose ist in seinem Element, hier im Analogstudio des von ihm gegründeten Instituts für elektronische Live-Musik. Wenn er über diese Musik, seine Musik, spricht, dann sieht er einen eigentlich gar nicht an. Dann blickt er vor sich hin, an einem vorbei oder bestenfalls durch einen durch – seine Erzählung macht Sprünge, er verstolpert Worte, steuert auf etwas zu, das noch zu finden ist. Wie in der Musik.

Gegenüber des Synthi 100 steht eine massige Telefonzelle, „zum Üben für Instrumentalisten, oder zum Einspielen von Material“, sagt Erdmann. Laien, Professionelle aus ganz Europa und Studierende im Kontaktstudiengang Komposition/Live Elektronik der Hamburger Hochschule für Musik und Theater nutzen die Räume des Instituts im Dachgeschoss der Lüneburger Musikschule. Die ist auch die Keimzelle für das EULEC, das bis 2002 noch „Fortbildungszentrum für Neue Musik“ hieß und den Auftrag hat, das Verständnis für Neue Elektronische Musik zu fördern.

Erdmann gehört zu dem Institut wie der Synthi 100. In den siebziger Jahren war der ausgebildete Flötist im Rahmen von Vorträgen und Seminaren einige Male in Lüneburg mit seinem Ensemble für Live-Elektronik aufgetreten. „1977 bin ich dann plötzlich angerufen worden“, erzählt Erdmann, „und man hat mich gefragt, ob ich das nicht im Auftrag der Stadt machen will.“ Er will. Mitmachen kann, wer möchte, dieses Prinzip gilt immer noch. Wer an einem Kurs in Lüneburg teilnimmt, hat in der Regel danach die erste eigene elektronische Komposition in der Hand. „Ganz wichtig für unser Konzept ist, dass man beim Selbermachen lernt“, sagt Erdmann.

Dabei wird niemand in Lüneburg auf die Live-Elektronik geeicht, sagt Erdmann. „Das EULEC ist ein Experimentalstudio, das möglichst variabel sein will“. Neben dem Analogstudio gibt es auch ein Digitalstudio. „Hier kann prinzipiell jede Art von Musik gemacht werden“, sagt Erdmann. Und: „Viele die kommen, wissen gar nicht, was Neue Musik ist.“ Vor Pop-Musik hat er keine Berührungsängste. „Da ist zum Beispiel Mario, der kommt aus der Hip-Hop Szene.“ Seine Klangerfindungen seien hochinteressant.

„Ich war früher ein erklärter Gegner der elektronischen Musik“

Vielleicht rührt Erdmanns große Offenheit daher, dass er, 1947 in Emden geboren, anfangs ein Gegner der Elektronischen Musik war. Diebisch habe er sich gefreut, wenn ein Kabel bei einem Konzert gerissen sei, erzählt Erdmann, der erst in Braunschweig, dann in Hamburg Flöte studierte. „Dort war dienstags immer Kampftag, da waren alle Überäume besetzt.“ Notgedrungen habe er also eine Einführung in die Elektronische Musik besucht. Seit dem war es um ihn geschehen. Vielfach ausgezeichnet widmet er sich seit gut dreißig Jahren erfolgreich der Lehre, Aufführung und Komposition Elektronischer Musik.

Sein Hauptinteresse gilt dabei der Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine. Sichtbar oder besser hörbar wird diese auf dem alljährlichen Festival für Neue Musik. Auch Helmut Erdmann spielt dort: „Flutissimo“.

Festival für Neue Musik, noch bis 23. Oktober. Informationen: EULEC Fortbildungszentrum für neue Musik, An der Münze 7, Lüneburg, 04131 / 309390, www.neue-musik-lueneburg.de