LeserInnenbriefe
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Danke für die Erinnerungen

betr.: Kolumne „Vogelfluglinie“, taz.nord

Rebecca Clare Sanger …ich liebe Sie! Ihre Geschichten erinnern mich an unzählige Familien-Sommerurlaube in Kalvehave und auf Møn. Endlose Wanderungen an der Steilküste mit Taschen voller Klötersteinen und Donnerkeilen, die, zu Hause in Glasschalen ausgestellt, die Kinder zu der Feststellung veranlassten, eigentlich müssten wir sie wieder dahin zurückbringen, wo wir sie weggesammelt hatten. Oder das Zufallszusammentreffen mit Günter Grass in einer Fischbude in Stege, wo ich meiner Frau und den Töchtern „den größten Dichter Nachkriegsdeutschlands“ vorstellte, was er entsetzt von sich wies. Auf die Feststellung meiner Frau, sie habe das gerade erschienene Buch „Der Butt“ angelesen und unzufrieden weggelegt, sagte er: „Na ja, das Leben ist eben auch nicht immer angenehm.“ Danke für die netten Geschichten! KARLHEINZ HANSEN, Harmstorf

Für welche Arbeitsplätze?

betr.: „Hamburger Reederei wieder rentabel“, taz.nord vom 24. 3. 16

Als Seemann lese ich mit Vergnügen Berichte, welche über die offiziellen Verlautbarungen hinausgehen. Sie haben in Ihrem Bericht jedoch vergessen, dass im vergangenen Frühjahr die letzten Kapitäne und Schiffsoffiziere, die in Deutschland lebten, Steuern und Versicherung zahlten, rausgeschmissen wurden. Für welche Arbeitsplätze wird eigentlich gebürgt? An dem Lohnniveau kann es ja nun nicht mehr liegen. MARTIN BOSCH, Geestland

Jesus war kein Opferlamm

betr.: „Lämmer lieben und Lämmer essen“, taz.nord vom 23. 3. 16

Danke für die Vermutung, Frau Seddig, Jesus habe sich opfern wollen. In dieser Tiefenebene macht Gedankenaustausch wirklich Spaß und Sinn. Ich glaube nicht, dass Jesus sich opfern wollte. Das verharmlost ihn und sein Wirken. Von „den Geringsten“ sprach er und zu ihnen ging er konsequent. Mir sagt das immer wieder: „Kapitalismus begreifst du, wenn du seine Spaltungen begreifst.“ Wie sie immer weitergereicht werden bis zu denen, die dann als Menschen seine Symptome menschlich wahrnehmbar zeigen. Nicht weil sie „schwach“ sind oder „Opfer“, sondern weil sie angreifbarer sind. Wo auch immer auf dieser Erde. Und es wird immerzu, trotz aller Optimierung, angreifbarere Menschen geben.

Und Neoliberalismus begreifst du vielleicht schon, wenn du zumindest seine Verdrehungen wahrnimmst. Wenn du siehst, wie ArbeitsLOSE zu „Hartz-EMPFÄNGERN“ und „KundInnen“ wurden. Wie Entgemeinschaftung und Umverteilung in die Freizeit zu „Dienstleistung“ wurden.

Dass Spaltung und Verdrehung im Fundament von Kapitalismus und Neoliberalismus stehen – vielleicht sogar im Fundament unserer Kultur –, siehst du, wenn du aufhörst, Opfern die eigentliche Verantwortung für die Gewalt zu geben. Wenn du sinnlich ahnst, dass alles kollektiv Verdrängte individuelle Symptome bei Einzelnen erzeugt. Und du siehst, dass „die Geringsten“ gesellschaftliche Stellvertreter sind. Ganz banal und mitten unter uns. Dann begreifst du: Frieden bedeutet, sich auf „die Geringsten“ zu beziehen, statt sich nur ihnen gegenüber zu verhalten.

In einer Leitkultur der Menschenwürde würde abgespaltene Ohnmacht nicht über ein Dienstleistungsverhältnis personalisiert und „eigenverantwortlich“ gehalten. Sondern persönlich wieder in (gesellschaftliche) Beziehung zurückübersetzt und mehr und mehr aufgelöst. Vielleicht, indem wir ganz profan „die Letzten“ als Erstes wirklich mal an uns heran ließen.

Ich glaube, dass Jesus ermordet wurde, weil er so bildlich und verständlich die Spaltung zu ihrem Ursprung und die Verdrehung wieder zurück auf die Füße stellte, dass es wehtat. Da forderten Ohnmächtige von Übermächtigen seinen verdrängenden Stellvertreter-Tod. Schlimme Verhältnisse.

MARIO PRIMAVESI , Oldenburg