Sieglos in Europa

Trotz zweimaliger Führung kommt der FC Schalke 04 auch bei Fenerbahce Istanbul über ein 3:3 nicht hinaus. Hoffnung auf die nächste Runde darf sich der Tabellenletzte der Gruppe E dennoch machen

AUS ISTANBUL TOBIAS SCHÄCHTER

Bei so einem Spektakel kann man schon einmal die Übersicht verlieren. Als die Spieler des FC Schalke 04 in den letzten Minuten, von einem naiven Bolzplatz-Enthusiasmus angetrieben, die Entscheidung suchten und dabei unbekümmert wie Kleinkinder keinen Gedanken mehr an drohende Gefahren verschwendeten, versuchte Trainer Ralf Rangnick verzweifelt, dem naiven Spieltrieb Einhalt zu gebieten. „Ich habe in den letzten Minuten nicht mehr gesehen, wer sich wo aufhält“, verriet Rangnick nach Abpfiff fehlenden Durchblick. Durch Schreien und wildes Gestikulieren versuchte der Übungsleiter seine enthemmt stürmende Mannschaft vergeblich auf das notwendige Maß an Defensivarbeit aufmerksam zu machen. Nicht umsonst: Fast wäre nach einem Konter noch der Siegtreffer für Fenerbahce Istanbul gefallen. Nach einer Flanke rutschte Marcio Nobre im Fünfmeterraum nur um Zentimeter am Ball vorbei.

Es blieb schließlich beim 3:3 in einem turbulenten Schlagabtausch zwischen dem türkischen Meister und dem deutschen Vizemeister im Sükrü Saracoglu- Stadion. Ein Ergebnis, das beide Kontrahenten unbefriedigt zurückließ. „Wir sind enttäuscht“, bündelten Rangnick und Fenerbahces deutscher Trainer Christoph Daum die Befindlichkeiten in beiden Lagern wie aus einem Munde. Die Situation in der Vorrundengruppe E der Champions League ist zum Abschluss der Hinspiele noch genauso offen wie zu Beginn des Wettbewerbs. Und bei den anschließenden Rechenspielchen schien die beiden Trainer vor allem das torlose Unentschieden der Konkurrenz in Mailand zu irritieren. In den Prognosen war ein souveräner Spitzenreiter AC Mailand und ein abgeschlagener PSV Eindhoven erwartet worden. Doch die sich im Umbruch befindenden Holländer erweisen sich mit nun vier Punkten als ernst zu nehmender Rivale für Schalke (zwei Zähler) und Fenerbahce (vier Punkte). Auch die Hoffnung, in der Rückserie auf ein bereits qualifiziertes Milan (fünf Punkte) zu treffen, erweist sich als falsch. „Wir müssen jetzt unsere zwei Heimspiele gewinnen, dann werden wir sehen, was die Tabelle sagt“, analysierte Rangnick.

Trotz des Unentschiedens zog Rangnick einen gar nicht aufgesetzten Hut vor der Moral seiner Mannschaft. Diese hatte sich vom frühen 0:1 (14.) nicht beeindrucken lassen und bereits zum neunten Mal in dieser Saison einen Rückstand aufgeholt. Dass man dann aber eine zweimalige Führung (2:1 und 3:2) nicht über die Zeit brachte, war Auslöser der spürbaren Unzufriedenheit der Gäste. Zudem monierte Rangnick, dass alle drei Gegentreffer nach Standardsituationen zustande gekommen waren.

„Das erste Tor war mein Fehler“, gestand denn auch der diesmal torlos gebliebene Angreifer Sören Larsen, der Luciano unbedrängt hatte einköpfen lassen. Beim 2:2-Ausgleich von Marcio Nobre (73.) fand der zunächst abgewehrte Ball genauso einen unerklärlich unbewachten Fener-Spieler wie bei Appiahs 3:3 (79.) durch einen strammen 14-Meter-Schuss des Ghanaers. Dreimal war der Brasilianer Alex Absender des ruhenden Balles. Schon deshalb zeigte sich Rangnick „gar nicht böse“ darüber, dass der schmächtige Kunstschütze in der 87. Minute wegen wiederholten Foulspiels die gelb-rote Karte sah und beim Rückspiel deshalb fehlen wird. Kollege Daum sah in Alex‘ Absenz in 14 Tagen gar einen „Riesenvorteil“ für Schalke: „Einen solchen Spielertyp haben wir nicht noch einmal“, haderte er über den Ausfall seines Unersetzlichen.

Als solchen bezeichnete Rangnick zuletzt auch Schalkes Spielmacher Lincoln – und die Ereignisse in Istanbul geben dem Trainer Recht. „In der zweiten Halbzeit hat Lincoln so gespielt, wie wir ihn auf diesem Niveau brauchen“, sagte Rangnick, der den 26-Jährigen in der Pause eindringlich ermahnt hatte, „endlich in den vierten oder fünften Gang zu schalten“. Prompt suchte Lincoln endlich auch den Weg in den gegnerischen Strafraum – und erzielte zwei wunderschöne Treffer (59., 62.).

Davon waren die beiden formschwachen deutschen Nationalspieler Fabian Ernst und Kevin Kuranyi weit entfernt. Ernst saß die gesamte Partie auf der Bank, Kuranyi durfte erst zu Beginn der zweiten Halbzeit für den mit einem Nasenbeinbruch lädierten Sand eingreifen. Leicht als Aufbauhilfe für den sensiblen Stürmer zu durchschauen war Rangnicks Behauptung, der nachsetzende Kuranyi habe beim zwischenzeitlichen 3:2 (77.) Torhüter Volkan zu einem Fehler gezwungen. Die Wahrheit ist: Volkan hatte über den Ball getreten.