Berliner Szenen
: Abends, U6

In den Knast, Horst!

Als die U-Bahn ­summend anfährt klingelt sein Handy

Sonntagabend in der U6. Ich umklammere die Reisetasche auf meinem Schoß. Ich bin gerade angekommen. Das ganze Wochenende war ich in einem Dorf in der Nähe von Bremen und habe meine Oma besucht. So viele Menschen wie jetzt in der U-Bahn habe ich die letzten zwei Tage nicht gesehen.

Ein Typ mit einer Sterni-Flasche in der Hand quetscht sich durch den Waggon und setzt sich auf den freien Platz mir gegenüber. Seine zerfledderte Weste ist voller Aufnäher von Berliner Sportclubs – Hertha, Füchse, Eisbären. Als die U-Bahn summend anfährt und die Station Stadtmitte verlässt, klingelt sein Handy.

„Jo!“ sagt er so laut, dass die umstehenden Fahrgäste zusammenzucken. „Ja, Mann! Ich konnte nicht eher ausm Haus. Unten hamse geklingelt.“ – „Das war die Bullerei.“ – „Ja, Mann!“ – „Hörst du mich?“, brüllt er ins Telefon. Längst hat er die Aufmerksamkeit der Fahrgäste um ihn herum gewonnen. Unauffällig gucken ein paar zu ihm her­über und hören gespannt zu. Doch der Anrufer am Ende der Leitung scheint nichts zu verstehen. Die Verbindung bricht ab. Der Typ steckt das Handy weg und nimmt noch einen Schluck Bier. Die Umstehenden schauen wieder in andere Richtungen, steigen aus oder gehen ihren eigenen Unterhaltungen nach.

Das Handy klingelt ein zweites Mal. „Hallo?“ – „Ja, ich sag ja, ich konnte nicht früher ausm Haus. Die Bullen haben geklingelt. Ich kann dich um acht in Tempelhof treffen.“ – „Um acht!“ – „Ich musste noch zu Hause abwarten ...“ – „Ich muss doch noch mal rein, fürn halbes Jahr oder so.“ – „Ja wie denn, wat denn wor­ein? In Knast, du Horst!“

Wieder drehen ein paar Fahrgäste ihre Köpfe, andere lässt diese Szene unbeeindruckt. Als ich aussteige, klingelt mein Handy. Oma will wissen, ob ich gut angekommen bin und wie die Lage in Berlin ist. „Alles wie immer“, sage ich. Insa Kohler