Stichwahl mit antideutschen Ressentiments

In der zweiten Runde von Polens Präsidentschaftswahl geht es zwar um die Zukunft des Landes, doch Stimmung wird mit der Vergangenheit gemacht. In Umfragen führt noch der liberale Donald Tusk, doch Lech Kaczynski holt auf

WARSCHAU taz ■ In Warschau feiern dieser Tagen nicht nur die „Vampire“ Roman Polanskis als Musical Premiere, eine schrille, erotisch-gruselige Parodie auf das Vampirgewerbe. Auch einige Politiker bitten zum makabren Totentanz, lassen Wehrmachtssoldaten aufmarschieren und Warschaus Sirenen von 1944 noch einmal aufheulen. Zwar soll am Sonntag der künftige Präsident gewählt werden – in der Stichwahl sind Donald Tusk (48) von der liberalen Bürgerplattform (PO) und Lech Kaczynski (56) von der rechtspopulistischen „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) – doch statt sich über die Zukunft zu streiten, wühlen sich Politiker und Wähler seit Tagen durch Friedhöfe und Archive.

Lech Kaczynskis Wahlkampfleiter fand es nur „recht und gerecht“, wie der Name der Partei schon sagt, dem Gegenkandidaten die Vergangenheit seines Großvaters um die Ohren zu hauen. Tusks Opa sei 1944 freiwillig in die Wehrmacht eingetreten, was der Präsidentschaftskandidat verschwiegen habe. Zudem hätten Tusks Eltern zu Hause Deutsch gesprochen, und er selbst sei durch deutschfreundliche Gesten bekannt. Die allgemeine Empörung über solche Schnüffelmethoden, die viele Polen noch aus kommunistischer Zeit kennen und fürchten, mischte sich mit Zweifeln an der Loyalität Tusks mit Polen. Kaschuben, Masuren, Danziger und Schlesier wurden in Nazizeiten zu Millionen auf die so genannte Deutsche Volksliste gesetzt und die Männer zur Wehrmacht eingezogen. Zwar konnte die Vergangenheit von Tusks Großvaters inzwischen geklärt werden – nach KZ und Zwangseinberufung zur Wehrmacht desertierte er und schloss sich den „Polnischen Streitkräften im Westen“ an. Doch bei vielen kamen nur die antideutschen Ressentiments an.

Tusk führt noch immer in den Umfragen. Er steht für ein europafreundliches Polen und eine konservativ-liberale Wirtschaft im Gegensatz zu seinem sehr nationalistisch und europaskeptischen Rivalen. Doch der Abstand zwischen den beiden verringert sich täglich. Der Wahlausgang könnte also anders sein als die derzeitigen Umfragen, die Tusk mit 53 bis 56 Prozent gegenüber 44 bis 47 Prozent für Kaczynski vorn sehen. Fast 50 Prozent der Befragten wollen am Sonntag nicht wählen.

Da beim ersten Wahlgang vor zwei Wochen vor allem junge und gebildete Städter für Tusk, ältere Menschen sowie schlechter ausgebildete Arbeiter und Bauern für Kaczynski stimmten, dürfte die Wahl jetzt davon abhängen, wer seine Wählerschaft besser mobilisiert.

Für junge Polen ist Europa längst eine Selbstverständlichkeit. Sie reisen viel und haben keine Angst vor Ausländern, anderen Religionen und Gebräuchen. Doch den Älteren steckt immer noch der Zweite Weltkrieg und der Realsozialismus in den Knochen. Sie wollen einen starken Präsidenten, der wie sie Deutsche und Russen verabscheut und diesen „gefährlichsten Gegnern Polens“, wie Kaczynski meint, auch mal die Faust unter die Nase hält. Die von der PiS angekündigte „moralische Revolution“ mit „Säuberungen“ unter Kommunisten und Vaterlandsverrätern bis in die Gräber hinein, ist ihnen gerade recht.

Junge Polen hingegen wünschen sich einen weltgewandten Präsidenten, der sich für die Zukunft Polens interessiert und gute Beziehungen zu den europäischen Nachbarn und den USA aufbaut. Den Ausschlag bei der Wahl gibt möglicherweise eine neue Schätzung über Warschaus Kriegsverluste 1939 bis 1945. Kaczynski hatte sie als Oberbürgermeister der Hauptstadt in Auftrag gegeben. Allein für Warschau müssten die Deutschen 54 Milliarden Dollar Reparationen zahlen, meint er. Diese offene Rechnung gegenüber Deutschland sei eine „Waffe“ Polens gegen das in Berlin geplante „Zentrum gegen Vertreibungen“ und Eigentumsrückforderungen der Vertriebenen. GABRIELE LESSER