Leuchten der Menschheit
vonChristiane Müller-Lobeck
: Palmyra, Tor zur Hölle

Mit russischer Unterstützung hat die syrische Armee Palmyra zurückerobert. Der Schaden am archäologischen Bestand nach dem Wüten der dschihadistischen Besatzer sei geringer als gemeinhin angenommen, sagen Experten. Ein Aufatmen geht durch die internationalen Medien, vom „Wunder von Palmyra“ ist die Rede.

Was für ein gelungener PR-Schachzug der russisch-syrischen Koalition. Sein Schaden für Syrien ist allerdings kaum zu ermessen. Denn dort weiß jeder, dass Palmyra auch der Ort eines der schauderhaftesten Gefängnisse des Assad-Regimes war. Tadmor (Dattelhain) sein Name, nach dem altsemitischen Namen für Palmyra. Die Sprengung des Knasts, nicht die des Weltkulturerbes, war die erste „Amtshandlung“ der IS-Truppen nach der Eroberung der Stadt im vorigen Mai – auch das natürlich eine PR-Maßnahme. Nur adressierte die Botschaft der Schlächter vom IS die jahrzehntelang von Schlächtern des Assad-Clans malträtierte syrische Bevölkerung.

Wie es in den Gefängnissen und Straflagern des Assad-Regimes zuging und zugeht, hat die Französin Garance le Caisne in ihrem Buch „Codename Caesar. Im Herzen der syrischen Todesmaschinerie“ (C. H. Beck 2016) aus Berichten von ehemaligen Gefangenen zusammengetragen. Vor allem aber fußt das Buch der Journalistin auf den Aufnahmen eines ehemaligen Soldaten der syrischen Armee, der mit mehreren anderen Armeefotografen in den Gefängnissen der Hauptstadt Damaskus für die bildliche Dokumentation von Todesfällen zuständig war. Die Fotos, auf deren Abdruck le Caisne verzichtet, zeigen (man kann das im Internet sehen) unzählige ausgemergelte und aufs Übelste zugerichtete Leichen. Sie sind verstümmelt, tragen Verbrennungswunden, sind übersät mit Foltermalen.

Es ist unfassbar, dass diese heimlich ins Ausland geschmuggelten Zeugnisse im Auftrag des folternden Staates entstanden sind. Auf die Leichname hat man Nummern geschmiert, jeden einzelnen der bestialisch verübten Morde akribisch dokumentiert.

Zwei Jahre lang hat Caesar, wie er sich sicherheitshalber nennt, zusammen mit einem Freund heimlich auf USB-Sticks Fotografien außer Landes geschafft. Dann ging er selbst, zu groß das Risiko. Die Aufnahmen, 27.000 Stück, 5.500 davon gerichtlich verwertbar, sind längst Gegenstand von Voruntersuchungen für mögliche Anklagen in Genf. Stephen Rapp, amerikanischer Sonderbotschafter für Kriegsverbrechen, wird zitiert mit den Worten: „Ich habe niemals so schlagende Beweise für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesehen.“ Le Caisne gelang es, zu Caesar, der selbstverständlich versteckt lebt, Kontakt aufzunehmen. In den Gesprächen mit der Autorin gibt sich der syrische Fotograf gänzlich unheroisch. Le Caisne lässt auch andere Zeugen aus anderen Gefängnissen berichten, die sich allesamt nach den Demonstrationen 2011 rapide füllten.

Das berüchtigte Gefängnis in Palmyra, 2001 wegen Baufälligkeit bereits geschlossen, wurde drei Monate nach dem Beginn der 2011er Aufstände kurzerhand wiedereröffnet. In den 80ern war es Stätte eines fürchterlichen Massakers der teils von Sowjets ausgebildeten paramilitärischen Eliteeinheit von Rifaat al-Assad gewesen. Nach einem gescheiterten Attentat auf seinen Bruder, Staatschef Hafis al-Assad, stürmten die Männer der Einheit am 27. Juni 1980 das Lager für politische Häftlinge, warfen Handgranaten in die Zellen und schossen mit ihren Waffen so lange um sich, bis alle – zwischen 1.000 und 2.000 – Insassen tot waren. Es ist aber nicht wegen dieses Massakers, dass man Tadmor als Vernichtungslager bezeichnen muss. Davor und auch danach wieder kamen unzählige Sträflinge gewaltsam zu Tode.

Le Caisne erzählt, dass der IS, als er vorigen Mai die Stadt eroberte und das Gefängnis zerstörte, sämtliche Dokumente und damit wertvolle Zeugnisse des Terrors vernichtete. Mit dem Gefängnis Saidnaya, so ist im Buch zu lesen, hat Tadmor in der Zwischenzeit 30 Kilometer vor Damaskus einen Nachfolger gefunden. Auch dort werden ausschließlich politische Häftlinge und Islamisten zusammengepfercht. Auch wenn Assad es vielleicht nicht nötig hat, in Palmyra wieder foltern und morden zu lassen, er könnte es jetzt. Deshalb hält die Rückeroberung für syrische Oppositionelle vor allem diese Botschaft bereit: Lasst alle Hoffnung fahren.

Die Autorin ist freie Journalistin in Hamburg