Aufruhr um den Ausstieg

Die SPD will standhaft bleiben und die Atomreaktoren nicht länger laufen lassen.In den Koalitionsverhandlungen mit der Union geht es faktisch ohnehin nur um Biblis A

Das Atomgesetz erlaubt sowieso Tricks, um die Laufzeitzu strecken

FREIBURG taz ■ Der Atomausstieg sei „nicht verhandelbar“, jede anders lautende Meldung schlichter „Quatsch“. Mit deutlichen Worten haben SPD-Umweltexperten gestern Spekulationen kommentiert, die Sozialdemokraten rückten in den Koalitionsverhandlungen vom geltenden Atomkonsens ab. Die Financial Times Deutschland (FTD) hatte zuvor berichtet, Union und SPD wollten den „Atomausstieg verschleppen“: Bis zur nächsten Bundestagswahl solle kein einziger Atommeiler vom Netz gehen.

Doch von Laufzeitverlängerungen könne keine Rede sein, hieß es gestern aus Fraktionskreisen: „Die Reihen in der SPD sind geschlossen“, sagte ein Abgeordneter. Ein anderer Umweltexperte spricht sogar von einer „Diskussion um des Kaisers Bart“, weil es derzeit in Sachen Ausstieg ohnehin nicht allzu viel zu debattieren gibt. Denn ob man nun den Ausstiegsbeschluss neu verhandelt oder nicht – an der Praxis wird sich wenig ändern.

An den Fakten kommt schließlich niemand vorbei: Aus den Regellaufzeiten von durchschnittlich 32 Jahren für die 17 deutschen Atomkraftwerke ergibt sich, dass in dieser Legislaturperiode bis Ende 2009 vier Rektoren abgeschaltet werden. Drei davon fallen allerdings ans Ende der Wahlperiode: Neckarwestheim I müsste im Dezember 2008 vom Netz, Biblis B im Januar 2009, und Brunsbüttel erst im Februar 2009.

Die Betreiber dürften daher versuchen, diese drei Reaktoren doch nicht abzuschalten, sondern über die nächste Bundestagswahl zu retten – in der Hoffnung, dass sich dann eine atomfreundliche Mehrheit durchsetzt. Tricks dafür gibt es, so könnten die Konzerne zum Beispiel die Revisionszeiten verlängern, bei denen die Meiler abgeschaltet und kontrolliert werden. Denn das Atomgesetz beschränkt nicht die Laufzeit, sondern hat die Stromerzeugung kontingentiert. Die Politik hat hier also wenig Einfluss und eine Koalitionsvereinbarung wenig Sinn.

Somit bleibt faktisch nur noch ein einziger Reaktor übrig, über dessen Schicksal in dieser Wahlperiode politisch zu debattieren wäre: Biblis A. Denn dieser Meiler hat bei regulärem Betrieb im Februar 2007 sein Stromkontingent verbraucht. Und das ist zu früh, als dass der Betrieb noch durch Tricks bis zur Wahl im Herbst 2009 gestreckt werden könnte.

Also alles klar für das Ende von Biblis A? Nicht unbedingt. Denn auch dieser Meiler könnte ohne Änderungen im Atomgesetz noch länger am Netz bleiben. Dann nämlich, wenn Stromkontingente von den stillgelegten Reaktoren Stade und Mülheim-Kärlich auf Biblis A übertragen würden. Hier jedoch kommt die Politik ins Spiel, denn eine solche Verschiebung geht nur, wenn auch der Bundesumweltminister zustimmt – so steht es im Atomgesetz. Exakt auf diese Zustimmung spekulierte gestern die FTD.

Die Sozialdemokraten gaben sich gestern standhaft: Ein SPD-Umweltminister werde keiner Laufzeitverlängerung von Bilblis A zustimmen, hieß in der Fraktion, „definitiv nicht, es gibt kein Wackeln“. Der Atomausstieg sei der SPD einfach zu wichtig, um ihn als Verhandlungsmasse in die Koalitionsgespräche einzubringen. BERNWARD JANZING