LeserInnenbriefe
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Deutschkurse sind super

betr.: „Die Hauptfrage bleibt ungeklärt“, taz vom 29. 3. 16

Ja, eine Sprache lernt sich nicht ohne Mühe, ja, wer im Sprachkurs sitzt und lernt, muss währenddessen die Kinder unterbringen und hat weniger Zeit, Freunde zu treffen. Und ja, Jobs für Geflüchtete liegen nicht auf der Straße. Und deshalb ist es Lebenszeitverschwendung, Deutsch zu lernen? Was für ein antiaufklärerischer Unfug.

Im Deutschkurs lernen die Teilnehmenden, sich als Individuen und gesellschaftlich Handelnde zu begreifen, sie durchbrechen ihre häusliche Isolation und kommunizieren gleichberechtigt in einer Gruppe. Erfahrungen, die weit über das „Verben pauken“ hinausgehen. Diese Erfahrungen sind für die Teilnehmenden ein Aspekt der Persönlichkeitsbildung und auch dann wertvoll (aber natürlich nicht mühelos), wenn sie Deutschland schon nach kurzer Zeit wieder verlassen müssen.

Übrigens: Als Lehrerin für DaF lerne ich auch nicht wenige bocklose Teilnehmer kennen. Mehr Verbindlichkeit ist hier absolut notwendig. INGRID KÖRNER-BORNHOLDT, Lutzhorn

Deutliche Denkzettel

betr.: „Ein Hoch auf die Rebellen“, taz vom 29. 3. 16

Sehr geehrter Herr Sotscheck,

ich wundere mich, wie jemand, der in Irland lebt, die irischen Wähler und Wählerinnen als „Stimmvieh“ bezeichnen kann, das sich von den beiden großen Parteien zurück an die Wahlurne schicken ließe.

Zum einen haben gerade diese Wähler den beiden großen (mehr oder weniger konservativen, aber traditionell verfeindeten) Parteien einen deutlichen Denkzettel verpasst und auch Labour für deren Mithilfe bei der Durchsetzung der Austerity-Politik der europäischen Banken. Und neben ca. 16 Prozent für Sinn Féin haben ca. 25 Prozent unabhängige KandidatInnen gewählt. Nicht alle sind nach meinem persönlichen Geschmack, zum Teil Regionalisten (siehe die Healy-Ray-Brüder), die jede Regierung bei entsprechenden Gegenleistungen unterstützen würden, aber auch People before Profit und einen Kandidaten, der sich im Rahmen der irischen Friedensbewegung dagegen wehrt, dass der Flughafen von Shannon von den USA als Sprungbrett für ihre Nahost-Abenteuer genutzt wird. Vom „Stimmvieh“ ins Dubliner Parlament geschickt? WALDEMAR GRYTZ, Stuttgart

Das Verdrängte kehrt wieder

betr.: „Es gibt keine absolute Sicherheit“, taz vom 30. 3. 16

Belgien hat sich bis heute nicht seiner grausamen kolonialen Vergangenheit unter dem König Leopold II. gestellt. Im aktuellen Geschehen dieses Landes spiegeln und wiederholen sich unbewusst die kollektiv verdrängten und unverarbeiteten Gräuel unvorstellbaren Ausmaßes in der Form eines weiterhin bestehenden strukturellen Rassismus. Der „Geist“ des „belgischen Monsters“, der einst den Kongo als eine Art von Privatkolonie ausplünderte und deren versklavten Menschen das Menschsein absprach, lebt offensichtlich in den kulturellen Wertorientierungen der politischen und gesellschaftlichen Eliten weiter. Dass der Autor, ausgewiesener Historiker, diesen Bezug nicht herstellt und eine entsprechende geschichtliche Kontextualisierung unterlässt, ist völlig unverständlich. MICHAEL J. KINDL, München

Fadenscheinige Argumente

betr.: „Wir ratifizieren Ceta“, taz vom 31. 3. 16

Es empört mich, dass ein demokratisch gewählter Abgeordneter fadenscheinig argumentiert, um einen Demokratieabbau zu verteidigen. Was hat Bernd Lange dazu bewogen, so schnell umzudenken, wo er doch noch vor etwa einem halben Jahr gegen TTIP gesprochen hat, solange es die Sondergerichtsbarkeit im Investorenschutz gäbe? Bei Ceta gibt es diesen Investorenschutz explizit.

Eine andere Frage ist zu stellen: Muss die EU-Kommission Ceta jetzt so schnell auf den Weg bringen, weil der neue kanadische Premierminister selbst Ceta infrage stellt? Ich frage die Parteiführung der SPD, aber vor allem deren Basis, wie sehr ist das Demokratieverständnis, das sozialdemokratische Demokratieverständnis, durch diese Abgeordneten und dieser Parteiführung abhandengekommen? Was gilt diesen SPD-Politikern die im Grundgesetz verankerte Sozialbindung des Kapitals, um solche Entscheidungen mitzutragen?

Wem fühlt sich die heutige SPD eigentlich verpflichtet: dem Bürger oder dem Großkapital? Und wird hier von der SPD erneut ein Verrat an der Demokratie begangen, wie bei der Unterstützung der Kriegsanleihen vor dem Ersten Weltkrieg, mit der dieser Krieg für Deutschland erst möglich wurde? Oder wie mit der Aufgabe des Godesberger Programms und der daraus folgenden Agenda 2010? Selbst die Wahlergebnisse in Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt scheinen ja die Parteiführung nicht zum Nachdenken zu bewegen, zumal man eine sehr oberflächliche Erklärung durch den Wahlerfolg der AfD gefunden zu haben glaubt. Es wird nicht danach gefragt, wieso ehemalige SPD-Wähler gerade diese Partei gewählt haben. Kann der Wählerverlust nicht mit dieser Politik der SPD in engem Zusammenhang stehen? ALBERT WAGNER, Bochum