Schmidt will Sterbehilfe unnötig machen

Schlacht der Studien: Nachdem Forsa erhob, dass die meisten Deutschen aktive Sterbehilfe wollen, kontert die Hospiz-Stiftung mit einer Studie, in der die Mehrheit dagegen ist. Eins wollen alle: bessere Schmerzmedizin. Schmidt kündigt Programm an

VON COSIMA SCHMITT

Sie will einen Gegenpol setzen in einer erhitzten Debatte. Den Eindruck mindern, die Deutschen wären eine Nation der Sterbehilfebefürworter. Gestern wartete die Deutsche Hospiz-Stiftung mit einer aktuellen Emnid-Umfrage auf. Wie stehen die Deutschen zur Tötung Schwerstkranker? Bejahen wirklich drei von vier diesen Schritt, wie eine Forsa-Studie im Auftrag des Stern ermittelt haben will? Eugen Brysch, Geschäftsführer der Stiftung, zeigte sich skeptisch. „Die Menschen wissen zu wenig über die Alternativen.“ Nur deshalb stimmten so viele der aktiven Sterbehilfe zu.

In der Tat offenbart die Emnid-Umfrage ein gewaltiges Nichtwissen: Nur drei von hundert Deutschen können erklären, was „Palliativmedizin“ überhaupt ist. Nur einer von fünf weiß, was in einem Hospiz geschieht. „Wir benutzen Vokabeln, die da draußen niemand versteht“, sagt Brysch. „Wenn ich den Wissensstand hätte, wäre ich auch für aktive Sterbehilfe.“

Die Hospizstiftung will nun den wahren Willen der Bevölkerung ablichten. Sie stellt ihrer Befragung einen Erklärtext über die moderne Schmerztherapie voran. Und siehe da: sie kommt zu ganz anderen Zahlen. Nur etwa jeder dritte Befragte befürwortet jetzt noch aktive Sterbehilfe. 56 Prozent sprechen sich für Palliativmedizin und Hospizarbeit aus.

Das Problem: Wirklich vergleichbar sind die Umfragen nicht. Denn beide sind so suggestiv formuliert, dass schon die Frage die Antwort nahe legt. So wollte die Forsa-Befrager wissen, ob es den Ärzten erlaubt werden soll, „unheilbar kranken Menschen, auf deren Wunsch hin, ein tödliches Mittel zu verabreichen“. Sie betonen also das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen. Die Hospiz-Stiftungs-Umfrage hingegen beschwört ein Szenario, in dem der Todkranke hilflos dem Willen anderer ausgeliefert ist. „Unter Sterbehilfe versteht man die Tötung eines Menschen auf dessen Verlangen oder auch ohne dessen Zustimmung“, schreibt sie im Begleittext zur Frage. Brysch rechtfertigt die Formulierung mit empirischen Daten aus den Niederlanden. Dort hätten in etwa jedem vierten Fall nicht die Patienten selbst, sondern Ärzte oder Angehörige über die aktive Sterbehilfe entschieden.

Auch andernorts setzt die Emnid-Umfrage auf die Macht der Suggestion. So nötigt sie die Befragten, sich zwischen Schmerztherapie und Sterbehilfe zu entscheiden: „Befürworten Sie den Einsatz von Palliativmedizin und Hospizarbeit oder sind Sie eher für aktive Sterbehilfe?“, wollte Emnid wissen. Die Variante, dass Menschen beides wünschen – optimale Pflege und Therapie und nur als letzten Weg die aktive Sterbehilfe – ließen die Befrager nicht zu.

Immerhin aber offenbart die Studie Tendenzen. Männer sprechen sich häufiger für aktive Sterbehilfe aus als Frauen. CDU-Wähler votieren etwas häufiger dafür als Grünen-Anhänger. Nur die befragten Rechtsextremen bejahten Sterbehilfe fast geschlossen.

So breit die Zustimmung zur Schmerzmedizin ist – nur wenige Menschen kommen tatsächlich in ihren Genuss. Lediglich zwei Prozent der Sterbenden werden optimal palliativmedizinisch versorgt, so die Hospizstiftung. Am ehesten entgehen die Hamburger vermeidbarem Leid. Hier werden 3,5 Prozent schmerzmedizinisch umsorgt. In Thüringen sind es nur 0,3 Prozent.

So verwundert es nicht, dass gestern Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Debatte um das Töten auf Verlangen mit einem Gegenvorschlag konterte: Sie will 250 Millionen Euro für eine bessere Versorgung unheilbar Kranker aufbringen. 330 Palliativteams aus Ärzten und Pflegern sollen das Leid der Patienten zu Hause, in Kliniken, Heimen und Hospizen lindern. Etwa jeder zehnte Todkranke bräuchte eine solche Betreuung, rechnet die Ministerin vor. Die Teams sollen Symptome wie Schmerzen, Atemnot, Erbrechen oder auch Depressionen optimal behandeln. Schwerstkranke so gut versorgen, dass erst gar kein Todeswunsch entsteht – dieser Strategie immerhin können Befürworter wie Gegner der Sterbehilfe zustimmen.