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Hydra NSU

Alle Jahre wieder im Dezember präsentiert sich die Bundesanwaltschaft der Presse und feiert ihre erfolgreiche Tätigkeit im abgelaufenen Jahr. So befremdend wie im Dezember 2012 hat man sie selten erlebt

von Thomas Moser

Es war das Jahr der Aufdeckung einer monströsen rechtsterroristischen Mordserie. Und wie die anderen Teile der Sicherheitsapparatur – Nachrichtendienste, Polizei – spielt dabei auch die oberste Strafverfolgungsbehörde des Staates eine höchst fragwürdige Rolle.

Nach dem neunten Mord im Jahr 2006 in Kassel hatte es die Behörde noch abgelehnt zu ermitteln und von einem Einzeltäter gesprochen, der aus persönlichen Gründen Hass auf Türken hege. Dann, vier Tage nach Aufdeckung der Terrorgruppe NSU, am 8. November 2011, zog sie die Ermittlungen an sich. Am 8. November 2012, exakt ein Jahr danach, erhob sie Anklage gegen Beate Zschäpe und vier weitere Beschuldigte. Der Prozess wird vor dem Oberlandesgericht München stattfinden. Seine Behörde habe ein „erfolgreiches Jahr“ hinter sich, so Generalbundesanwalt (GBA) Harald Range erwartungsgemäß vor der Presse. Und: die Ermittlungen im NSU-Komplex hätten „ein klares Bild der Entwicklung, Struktur und der Straftaten dieser terroristischen Vereinigung“ ergeben.

Dabei sind die Ermittlungen noch in vollem Gange und viele Fragen nach wie vor ungeklärt. Wie viele Mitglieder umfasste die NSU-Gruppe tatsächlich? Was war das Motiv für die Morde an acht türkischen Händlern? Warum wurde ein Grieche Opfer? Warum die zwei Polizisten? Warum endete die Mordserie danach? Warum wurden neun Morde mit ein und derselben Waffe begangen, der Anschlag auf die Polizisten mit zwei anderen? Warum passt keines der Phantombilder von Heilbronn auf Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, die mutmaßlichen Täter? Warum begingen die beiden Selbstmord? Warum schickte Zschäpe danach die DVDs über die Mordopfer los? Und vor allem: Was wussten der Verfassungsschutz und andere Nachrichtendienste durch ihre V-Leute von den dreien?

Sechs Verfassungsschutzpräsidenten und -präsidentinnen traten 2012 zurück, vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse versuchen den Komplex zu erhellen. Ende offen. Inzwischen ist auch die Zeit seit dem 4. November 2011 Gegenstand der Aufklärung: Wird wirklich rückhaltlos ermittelt? Was wissen die Sicherheitsorgane? Wann wurden warum welche Akten vernichtet? Wer hielt welche Informationen zurück? Der NSU-Komplex ähnelt dem Untier Hydra: ein Kopf wird abgeschlagen, zwei neue wachsen nach.

Die Bundesanwaltschaft bleibt dabei: Die Morde wurden lediglich von dem Trio Mundlos, Böhnhardt, Zschäpe begangen. Die Männer sind tot, die Frau schweige. Andere Personen oder gar Gruppen seien an den Anschlägen nicht beteiligt, staatliche Stellen nicht verstrickt gewesen. Zumindest, so der Generalbundesanwalt, „in strafrechtlich relevanter Weise nicht“. Was immer das heißt. Und: das gelte „auch und in besonderem Maße für den Mordanschlag in Heilbronn“. Auch das einigermaßen kryptisch.

Die Bundesanwaltschaft hat laut ihrem Chef nichts falsch gemacht. „Wir haben unsere Rolle selbstkritisch hinterfragt“, so Range weiter. Bereits im November 2011 setzte er eine Evaluierungsgruppe ein, die 8.000 Vorgänge zwischen 1995 und 2011 überprüfte und zu dem Ergebnis kam: Die Karlsruher Behörde habe „in keinem der Fälle“ eine Ermittlungszuständigkeit übersehen oder falsch bewertet.

Dieser Evaluierungsbericht wurde dann von der ehemaligen Bundesrichterin Ruth Rissing-van Saan selber evaluiert – und bestätigt. Dagegen steht der Auftritt des Oberstaatsanwalts Christian Ritscher vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestags, der die Zuständigkeit der Bundesanwaltschaft nach eigener Aussage anhand von vier Zeitungsartikeln prüfte – und verwarf. (Siehe Kontext vom 12.12. 2012)

Leise Selbstzweifel kommen immerhin vom stellvertretenden GBA und Abteilungsleiter Terrorismus, Rainer Griesbaum. „Es hatte genügend Anzeichen für eine Aufrüstung der rechtsextremistischen Szene gegeben“, erklärt er, aber Serienmorde in Form kaltblütiger Hinrichtungen habe sich niemand vorstellen können. Und dann übt Griesbaum Kritik an den anderen Sicherheitsbehörden: Die Bundesanwaltschaft habe von ihnen die einhellige Bewertung erhalten, bei dem Trio aus Jena handle es sich um Einzeltäter. „Das wurde in der Folge gebetsmühlenhaft wiederholt, mit dem Ergebnis, dass die Mordtaten nicht mehr mit dem Trio in Verbindung gebracht wurden.“

Griesbaums Worte sind bemerkenswert, weil sich hier die Aufkündigung der prinzipiellen Loyalität der Sicherheitsorgane untereinander andeuten könnte. Sichtbar wird auch, dass die Bundesanwaltschaft darin eine wesentliche schwächere Position innehat, als es gemeinhin scheint. Es ist die Exekutive, die die Regeln bestimmt. In der Fragestunde der Presse spielte auch der Kontext-Bericht vom 12. Dezember eine Rolle.

Journalistenfrage: „Beim Anschlag in Kassel gab es diesen Verfassungsschutzbeamten T., der dabei war, aber angeblich nichts gehört hat. Laut Aktenlage wurde er 2006 befragt, aber ohne dass Einschlägiges bekannt wurde. Sind Sie bei der Einvernehmung von T. auf Mitteilungen beschränkt, oder können Ihre Ermittler diesen Mann selbst befragen?“

Rainer Griesbaum, stellvertretender Generalbundesanwalt und Leiter der Abteilung Terrorismus: Wir konnten den Zeugen T. vernehmen und haben die Überzeugung gewonnen, dass es keine Anhaltspunkte gibt, dass er in diese Straftat involviert ist.

Journalistenfrage: Wie ist es grundsätzlich mit V-Männern: Können Sie lediglich Erkenntnisberichte abverlangen, oder haben Sie auch Möglichkeiten, diese Leute zu befragen?

Griesbaum: Es geht ja nicht abstrakt um die Frage, ob uns alle V-Leute zur Verfügung stehen. Selbstverständlich gibt es da Kriterien der Sicherheit, die die V-Mann-führende Stelle einhalten muss. Entscheidend für uns ist, dass wir mögliche V-Leute-Erkenntnisse für die Ermittlungen nutzen können. Wir haben das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesämter nach Kriterien befragt, die sich im NSU-Komplex ergeben haben. Wir haben keinen Grund zu glauben, dass uns die angeschriebenen Behörden nicht umfassend mit ihrem Wissen versorgt hätten.

Journalistenfrage: Es sind etliche Akten verschwunden, geschreddert worden. Mancher Politiker spricht von vorsätzlicher Vernichtung. Hat für Sie diese Beseitigung der Akten eine Behinderung der Ermittlung in Blickrichtung des Prozesses in München zur Folge?

Griesbaum: Auch da gibt es für uns keinen Grund anzunehmen, dass uns Erkenntnisse vorenthalten worden sind. Kurz nachdem die Aktenvernichtungen im BfV bekannt wurden, haben wir uns mit der zuständigen Abteilungsleiterin in Verbindung gesetzt. Sie hat uns umfassend die Zusammenhänge und die Querverbindungen der Aktenführung aufgezeigt und uns entsprechende Unterlagen zur Verfügung gestellt, sodass wir die Überzeugung gewonnen haben, dass uns keine Erkenntnisse verloren gegangen sind.

Journalistenfrage: Die Frage ist natürlich, woher Sie wissen wollen, dass das stimmt. Wie war denn Ihre Haltung zum BfV? Haben Sie gesagt: Keine Aktenvernichtung mehr, wir wollen alle Akten haben! Oder haben Sie das BfV machen lassen?

Griesbaum: Ob wir dem BfV Anweisungen gegeben haben, Akten nicht weiter zu vernichten? Mal außerhalb der Ernstlichkeit: Ich bin mir sicher, dass das BfV sehr klar wusste, wie die Gesamtsituation einzuschätzen ist. Außerdem sind wir nicht die dienstvorgesetzte Stelle der Verfassungsschutzbehörden, sondern die VS-Ämter sind Beteiligte im Rahmen unserer Ermittlungen. Wir haben deutlich gemacht, dass wir alle Erkenntnisse im Komplex NSU benötigen, und das ist, glaube ich, deutlich geworden.

Journalistenfrage: Dann hat aber Herr Fromm das anders gesehen, denn die Aktenvernichtung im BfV hat immerhin dazu geführt, dass er vom Amt des Präsidenten zurückgetreten ist.

Griesbaum: Ich beziehe mich ja auf die Zeit nach diesem Vorgang. Vor der Aktenvernichtung, ich bitte um Nachsicht, konnten wir uns da in keiner Weise einschalten. Danach haben wir uns drum gekümmert.

Journalistenfrage: Herr Range, Sie haben gesagt, Ihre Behörde hätte vor der Entdeckung des Trios keine Fehler gemacht, und haben das auch noch wissenschaftlich evaluieren lassen. Jüngst ist allerdings ein Kollege aus Ihrem Haus im Untersuchungsausschuss des Bundestags aufgetreten, und da hörte sich das ein bisschen anders an. Er sagte, er habe damals nur Zeitungen und die Internetseite des BKA verwandt, um zu prüfen, ob die Bundesanwaltschaft für die neun Ceska-Morde zuständig ist. Er räumte dann selbstkritisch ein, das tue ihm leid und er würde es heute nicht wieder so machen. Welche von diesen beiden Versionen ist richtig?

Harald Range, Generalbundesanwalt: Ich glaube nicht, dass hier verschiedene Versionen im Raum stehen. Zunächst einmal ist es ja ein noch nicht abgestimmtes Protokoll, aus dem Sie zitieren. Aber sei’s drum. Die Frage ist doch, was würden wir heute in der Rückschau anders machen? Die Bewertung der damaligen Situation ist eben so, dass wir auf die Angaben der Staatsanwaltschaften der Länder angewiesen sind. Darüber hinaus versuchen wir uns natürlich zu informieren, und dazu gehört das Zeitunglesen. Nicht, weil wir jeden Morgen die Morgenzeitung lesen, sondern weil wir natürlich beobachten: Was passiert in Deutschland in Bezug auf den Staatsschutz? Eine der Thesen von Profilern war, der Täter könnte ein von Rechten [Anm.: Range meint, „von Türken“] beleidigter Einzeltäter sein, der in der Bundesrepublik herumreist. Was hätte er [OStA Christian Ritscher] machen sollen? Hätte er die einzelnen Staatsanwaltschaften gefragt, was wäre die Antwort gewesen? Überall wurde gesagt: Es handelt sich um OK [organisierte Kriminalität], es handelt sich um Verstrickungen vielleicht aus dem Bereich der Gewerbetreibenden [gemeint: die Opfer]. Und für OK sind wir nun einmal nicht zuständig. Es geht nicht um richtig oder falsch bei den Versionen von Herrn Ritscher und bei dem, was ich sage, sondern es gilt das, was im Gesetz steht.

Journalistenfrage: Ihre Anklageschrift liegt ja jetzt vor. Aber haben Sie den Eindruck, dass wirklich alle zentralen Fragen gelöst sind? Können Sie mit Sicherheit sagen, dass bei jeder der zehn Mordtaten immer Böhnhardt und Mundlos die Täter waren? Können Sie mit Sicherheit sagen, dass es in keinem dieser Fälle einen dritten Beteiligten gab, etwa in Heilbronn? Oder sind das nicht eher Indizien dafür, dass es so gewesen sein könnte?

Griesbaum: Wir haben Anklage erhoben und durch Indizien den hinreichenden Tatverdacht nachgewiesen. Es gibt für uns keine konkreten Anhaltspunkte, dass weitere Personen entweder bei der Tatausführung oder bei der Vorbereitung beteiligt gewesen seien. Wir gehen von der mittäterschaftlichen Beteiligung des Trios aus. Die Frage, ob wir Zusammenhänge „mit Sicherheit“ so bestätigen können, ist keine, die sich nach der Strafprozessordnung dem Staatsanwalt stellt.

Journalistenfrage: Können Sie einmal die Motivations- und Interessenlage von Beate Zschäpe erhellen? Die Frau stellt sich den Behörden und macht dann keine Aussage. Sie erklärt auch nicht, warum sie sich stellt. Ist denn die Perspektive auf lebenslange Haft für Frau Zschäpe besser, als in der Illegalität zu leben? Oder umgekehrt gefragt: Weiß sie vielleicht, dass sie wenig zu befürchten hat?

Griesbaum: Ich kann Ihnen dazu keine Angaben machen, sondern nur die Tatsache berichten, dass Frau Zschäpe keine Angaben macht. Die Hintergründe und Zusammenhänge erschließen sich nicht. Bei ihrer Vorführung hat der Ermittlungsrichter des BGH sie auf die Kronzeugenregelung hingewiesen. Das Recht zu schweigen ist ein elementares Recht, und dieses Recht nimmt Frau Zschäpe wahr. Welche Motivation dahintersteckt, hat uns nicht zu interessieren.

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