Irak will IS-Zentrum Mossul angreifen

Irak Islamistische Extremisten verteidigen hartnäckig ihr Gebiet. Die USA fürchten einen Bruch des Mossul-Staudamms

Flüchtende Familien brachten in ihren Autos Verletzteund selbst Tote mit

ISTANBUL taz | Unterstützt von US-amerikanischen Luftangriffen haben irakische Truppen und verbündete Milizionäre im Nordirak eine Offensive begonnen, die den Boden für die Erstürmung der von den Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS) beherrschte Großstadt Mossul bereiten soll. Dabei haben sie den IS in den letzten Tagen aus mehreren Dörfern zwischen Makhmur, knapp siebzig Kilometer südwestlich der kurdischen Regionalhauptstadt Erbil, und Kayyra am Tigris vertrieben. Tausende Zivilisten sind vor den Kämpfen in die von den Kurden kontrollierte Kleinstadt Makhmur geflohen. Einige Familien brachten in ihren Autos Verletzte und selbst Tote mit.

Die lokalen Behörden sind offenbar völlig überfordert. Journalisten vor Ort verbreiteten Bilder, die Hunderte von Flüchtlingen eingesperrt auf einem Sportplatz zeigen. Ein Lokalpolitiker beklagte, dass die rund 3.000 Personen, die teilweise nicht einmal das Nötigste einpacken konnten, keinerlei Hilfe erhielten.

Der am Donnerstag eingeleitete Angriff gilt als Testfall für die irakische Armee, die im Juni 2014 ein Debakel erlebte, als sie Mossul weitgehend kampflos den IS-Extremisten überließ. Ein Armeesprecher bezeichnete den Angriff als Auftakt der mehrfach angekündigten Mossul-Offensive. Das Gebiet liegt freilich mehr als siebzig Kilometer südlich von Mossul. Bis dorthin ist es also noch ein langer Weg, und fürs Erste ist die Bilanz für die rund 5.000 Soldaten und die eigens rekrutierten sunnitischen Milizionäre eher bescheiden. Die Einheiten hätten sich sofort zurückgezogen, als sie unter IS-Feuer geraten seien, berichteten Journalisten. Kurdische Peschmerga-Kommandanten, die in der Region einen Verteidigungsring bilden, äußerten sich ähnlich.

Anders als anderen Orten scheint der IS gewillt, den Kampf um Kayyra aufzunehmen. Die Kleinstadt liegt nicht nur an einer wichtigen Verbindungsroute von Süden nach Norden in die irakische IS-Hauptstadt, sondern auch am Tigris, der natürlichen Barriere an der Ostgrenze des Kalifats. Der IS hat nach Angaben von Augenzeugen auf den Angriff reagiert, indem er Sprengschutzfallen gelegt und seine Kämpfer in dicht besiedelte Wohngebiete verlegt hat.

Eine noch größere Gefahr als vor den Extremisten droht den Einwohnern der Region aber möglicherweise vom Wasser. Denn flussaufwärts droht mit dem Mossul-Staudamm die größte Talsperre des Landes zu bersten. Sollte der Damm brechen, würde elf Milliarden Kubikmeter Wasser das gesamte Land südlich davon überschwemmen. Bis zu 1,5 Millionen Personen könnten getötet werden, heißt es in einem US-Bericht. Washington stuft das Risiko derart hoch ein, dass die Botschaft ihre Bürger Ende Februar aufrief, Evakuierungspläne auszuarbeiten.

Amerikanische Ingenieure warnten bereits vor zehn Jahren, dass der „gefährlichste Staudamm der Welt“ jederzeit brechen könnte. Die irakischen Politiker beeindruckte das wenig. Seitdem der IS Mossul beherrscht, werden kaum mehr Reparaturen durchgeführt. Kürzlich hat die Regierung in Bagdad einen Reparaturvertrag mit dem italienischen Unternehmen Trevi unterzeichnet. Rom hat angekündigt, 450 Soldaten zum Schutz der Ingenieure und Techniker zu entsenden. Die Reparaturarbeiten werden freilich frühestens im Herbst beginnen. Inga Rogg