Morgen alles unters Dach

Zum Schutz vor der Vogelgrippe muss alles Geflügel nun in den Stall. Aber auch das schützt leider nicht hundertprozentig

VON HANNA GERSMANN

Erstaunlich. Die Deutschen bleiben ruhig – trotz Vogelgrippe. Dabei haben doch viele panische Reaktionen erwartet. Hierzulande gibt es aber keinen Run auf Mundschutzmasken, wie er gestern aus den USA gemeldet wurde. Auch beißen die Deutschen noch beherzt ins Brot mit Putenaufschnitt und lassen sich das Grillhähnchen schmecken. „Der Konsum von Geflügel bleibt konstant“, erklärte gestern Thomas Janning vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft. In Italien und Frankreich hingegen verkaufen die Supermärkte in diesen Tagen 30 Prozent weniger Geflügelfleisch als üblich.

Eine Veränderung hierzulande doch: Die Deutschen, so Janning, kauften bewusster ein. Angestellte bei Edeka, Rewe oder Plus würden häufiger nach der Herkunft des Fleischs gefragt. So wollten die Verbraucher vermeiden, ein Huhn aus Rumänien oder der Türkei zu kaufen. Dort hat der aggressivste Erreger der Vogelgrippe, H5N1, bereits tausende von Vögeln getötet. Den Menschen infiziert er bisher nur sehr schwer. Experten fürchten, dass sich das ändern könnte, wenn das Virus mutiert. Erst einmal müssen aber vor allem die Hühner Angst haben.

Die Vogelgrippe ist zurzeit eine Tierseuche. Hühner, die erkranken, sterben innerhalb von 24 Stunden, Wildgänse später. Das Virus überlebt im Kot. Wo die Seuche auftaucht, werden die Tiere geschlachtet. Als es in den Niederlanden 2003 die Geflügelpest gab, wurden 36 Millionen Tiere getötet. Schuld war ein Grippevirus, allerdings war er weniger aggressiv als H5N1.

Bauern sind in Sorge, dass sich die leidvollen Erfahrungen nun wiederholen könnten. Zwar bekämen sie im Fall der Fälle eine Entschädigung – aus der Tierseuchenkasse der Länder. Jeder Landwirt zahlt in das Sicherungssystem ein. In Niedersachsen sind im Jahr 31 Cent pro Pute und 3 Cent pro Huhn. Doch auf den Höfen würde es erschreckend leer. Auf jeden Einwohner kommen in Deutschland mehr als zwei Hühner: 48 Millionen Hennen legen Eier, 52 Millionen Hähnchen werden gemästet. Erstere landen, wenn sie ausgedient haben, zumeist im Suppentopf. Letztere kennt der Verbraucher als Grillhähnchen. Dazu kommen 10 Millionen Puten und 2,6 Millionen Enten. Jedes Jahr setzt die deutsche Geflügelwirtschaft 2 Milliarden Euro um.

Es geht um viel Geld. Deshalb soll das marktgängige Federvieh nun besser vor einer Ansteckung mit der Vogelgrippe geschützt werden – durch ein Dach über dem Kopf. Ab morgen gilt bundesweit ein Stallzwang für die Tiere. So sieht es eine Eilverordnung des Bundes vor. Jürgen Trittin, der derzeit die Geschäfte des Agrarministeriums führt, hatte sie am Mittwochabend erlassen. Das war kurz nachdem in Moskau zwei Verdachtsfälle von Vogelgrippe gemeldet wurden.

Für alle Hobbyzüchter gilt allerdings: Brieftauben sind vom Stallzwang ausgenommen. Und für alle Hannoveraner: Die größte Junggeflügelschau der Welt wurde nicht verboten. Sie kann ab heute bis zum Wochenende in der niedersächsischen Landeshauptstadt stattfinden. Der Veranstalter Jürgen Brunngräber will da kein Risiko erkennen. Die 18.000 Tiere kämen in geschlossenen Kisten an – und würden von Tierärzten begutachtet. In Bayern sind Geflügelschauen verboten, in Niedersachsen nicht. Die Maßnahmen sind bundesweit uneinheitlich.

Anita Idel von der „Projektkoordination Tiergesundheit und Agrobiodiversität in Berlin sagt zudem: „Auch ein Stall gibt keine hundertprozentige Sicherheit.“ Denn er sei kein geschlossenes System. Ein Virus könne durch die Lüftung eindringen. Zum Beispiel so: Ein infizierter Kranich lässt sich in der Nähe des Stalls nieder. Sein Kot, zu Staub verfallen, wird aufgewirbelt.

Idel ärgert die Debatte um den heilbringenden Stallzwang regelrecht: „Alle Bauern tun jetzt so, als würden sie ihre Hühner immer im Freien halten.“ Dabei werde das meiste Geflügel in Agrarfabriken gehalten. Und tatsächlich laufen nur rund 10 Prozent aller deutschen Hühner frei herum. Idel: „Beim Verbraucher setzt sich das falsche Bild vom glücklichen Huhn auf grüner Wiese fest.“ Dieses Bild dürfte dem größten deutschen Geflügelproduzenten, Wiesenhof, gut passen – er verkauft in seiner Werbung auch die schöne heile Welt. Der Firmenname sollte hier eigentlich nicht erwähnt werden. Darum bat eine Konzernsprecherin: „Wir möchten nicht in Zusammenhang mit der Vogelgrippe genannt werden.“ Den Deutschen könnte ja doch noch der Appetit vergehen.