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Basar der Möglichkeiten

Lebensentwürfe Frank Ripplohs Film „Taxi zum Klo” erzählt vom steten Widerstreit zwischen Entgrenzung und Triebverzicht

Frank Ripploh (links im Bild) lädt in „Taxi zum Klo“ dazu ein, ihn auf Streifzügen durch seine Welt zu begleiten Foto: Promo

von Thomas Groh

So freundlich und höflich wie Frank Ripplohs „Taxi zum Klo” gibt sich ein Film selten: Im Voice-over lädt der Regisseur, Autor, Produzent und Hauptdarsteller eingangs dazu ein, ihn auf Streifzügen durch seine Welt zu begleiten. Der Weg führe allerdings auch auf Herrentoiletten und durch Saunas. „Sie müssen nämlich wissen: Ich mag Männer.” Darüber hinaus ist er 30 und Lehrer und ansonsten genau so „normal, alltagsmüde, neurotisch und polymorph pervers” wie die Kollegen. Das Bild zeigt unterdessen Ausrisse aus schwulen Magazinen, Privatfotos, Gaypride-Badges, erotische Zeichnungen – Souvenirs aus einem normalen queeren Leben.

Als Peggy von Schnottgenberg war Ripploh in der Berliner Schwulenszene der 70er Jahre rund um Rosa von Praunheim bekannt, zugleich unterrichtete er als Lehrer an einer Schule. Im Jahr 1978 zog sein schwules Bekenntnis im Stern berufliche Sanktionen nach sich. Auch in seinem ohne Filmförderung 1980 realisierten „Taxi zum Klo” heißt er Ripploh und nennt sich Peggy – ein lose autobiografischer Film also, der vor dem Hintergrund der realen Vorkommnisse erstaunlich wenig agitatorisch ausfällt. Ein Anti-Praunheim-Film gewissermaßen, den Vaginal Davis am Sonntag in der Reihe „Rising Stars“ letztmalig im Kino Arsenal präsentiert (man zieht ins silent green um, um zukünftig größer und noch glamouröser zu werden).

„Taxi zum Klo” ist über weite Strecken ziemlich witzig (gleich die erste Szene ist eine Komödien-Standardszene), vom deutschen Problemfilm also weit entfernt und ohne intellektuellen Überbau erzählt Ripploh episodisch und lässig eine im Kern dann doch traurige Liebesgeschichte, die eben von zwei Männern handelt: Man lernt sich zufällig kennen, landet miteinander in der Kiste, gewöhnt sich aneinander. Doch während Bernd (Bernd Broaderup) eine fürsorglich-häusliche Zweisamkeit anstrebt, zieht es Frank ins Nachtleben, zum Cruisen in die Parks und auf Westberlins nächtliche Straßen, wo er als einsamer Wolf auf tristen Autofahrten melancholisch sinniert.

Familiäre Nestwärme vs. exzessiver Hedonismus auf dem Basar der Möglichkeiten – wenn homosexuelle Subkultur dem heterosexuellen Mainstream immer schon eine Spur voraus ist, dann skizziert Ripploh bereits jene Problemlagen und Widersprüche, die sich auch der heutigen, selbsternannten „Generation Beziehungsunfähig” in den Tinder-Metropolen stellen.

Der Film wählte einen bis dahin ungekannten Duktus der Normalität

„Taxi zum Klo” entstand in einer interessanten historischen Konstellation: Die ersten Kämpfe um Anerkennung sind ausgefochten, der hedonistische Disco-Lifestyle der 70er Jahre ist von den Nischen ins Zentrum diffundiert, die Insignien der Subkultur sind via Punk in den Mainstream gesickert und der Aids-Horror ist noch nicht abzusehen. Eine Ruhepause, wenn man so will: ein kurzer Moment des Aufatmens, den man zumal in Westberlin vielleicht schon mit einem historischen Sieg hätte verwechseln können. Aufsehen erregend war der Film daher nicht etwa nur, weil darin schwuler Sex in vollem Schwang zu sehen ist, sondern weil er einen bis dahin ungekannten, beiläufigen Duktus der Normalität eines schwulen Lebens zwischen Szeneorten der Anbahnung und Lehrer-Dayjob wählte. Ripplohs legendär gehässiger Humor tat das Übrige: Auch ein Schwuler muss eben mal zum Arzt, wo ihm der Doktor wegen Verdachts auf bei ungeschütztem Verkehr eingefangener Warzen mit Spekulum ins Arschloch schaut.

Abseits solch rustikal witziger Szenen aus dem schwulen Alltag ist „Taxi zum Klo” auch für seine lakonische Einfühlsamkeit sehenswert, wenn es darum geht, unterschiedliche Vorstellungen von Normalität miteinander zu kontrastieren. In einigen Szenen umweht den Film eine ganz eigene Post-Disco-Melancholie, die auch völlig ungeachtet der sexuellen Präferenzen jedem bekannt sein dürfte, der sich um die 30 herum die Frage stellt, inwieweit sich ein jugendlich-agiler, hedonistischer Lebensentwurf noch mit den Erfordernissen des Alltags vereinen lässt: „Taxi zum Klo” endet de facto mit der Zerschlagung der eigenen Existenz, der Aufhebung von Recht und Ordnung auch im Klassenraum. Schlussendlich handelt der Film also vom steten Widerstreit zwischen Entgrenzung und Triebverzicht, der Grundlage jedes gesellschaftlichen Miteinander-Auskommen-Könnens. Ein aktuelles Thema, wie der Blick auf die literarischen Bestsellerlisten zeigt: Benjamin von Stuckrad-Barres „Panikherz” verhandelt das Thema gerade aus Perspektive des Erwachens aus dem Hedonismus der 90s-Pop-Generation.

Kino Arsenal, 27. 3., 20 Uhr

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